Mein neues Leben ohne Steffen beginnt. Voller Tränen und Schmerz und einer neuen Arbeit. Man kann es kaum aushalten, aber man hält es aus

Arbeit

von | Mai 5, 2019

Mein neues Leben hat jetzt offiziell am 01. Mai begonnen, mit einer neuen Arbeitsstelle. Also alle Nachfragen diesbezüglich können jetzt beantwortet werden. Wie es mir dabei geht, steht auf einem anderen Blatt…

Das sagen mir ständig so viele: Dein neues Leben fängt jetzt an, dein zweites Leben fängt jetzt an. Aber ich hätte echt darauf verzichten können, dieses neue zweites Leben. Ganz so ohne Steffen, das könnt Ihr mir echt glauben.

Aber wie sieht es denn nun aus, dieses neue Leben?

Einige Tage nach Steffens Tod hat sich die Chefin von unserem Hochzeitsschloss bei mir gemeldet.

Sie hatte folgendes Angebot für mich:

Ich werde ab Mai auf dem Schloss angestellt, da es nach der Hochzeitsmesse im Januar doch noch sehr viele Anfragen explizit für unser Catering gab, so dass diese Termine ja jetzt noch erfüllt werden müssen. Und wenn ich mal nicht meine Angebote abarbeite, helfe ich den Mädels in der Küche.

Das ist natürlich ein unglaubliches Angebot, da ich gerade überhaupt nicht in der Lage bin, irgendetwas zu planen, da mir meine Zukunft sowas von scheißegal ist. Ich wusste nur ganz genau, dass ich unser Unternehmen nie mehr weiterführen konnte.

Jemand nimmt mir jetzt diese Sorge ab und fängt mich auf.

Nach dem Anruf war mein erster Gedanke: Nein! Ich will nie wieder kochen, ich will nie wieder arbeiten, ich will gar nichts. Ich werde absagen.

Meine Freunde haben mir jedoch sofort zugesprochen: mach das unbedingt! Das Angebot ist mehr wert, als es jede Spende sein kann, es ist aktive Überlebenshilfe!!!!

Nun, also war mein erster Arbeitstag fast da. Aber noch nicht am 1. Mai, da dies ja ein Feiertag ist.

Die letzte Staffel Game of Thrones – ohne Steffen!

Ich hatte den ganzen Tag noch frei und habe mir im Bett Serien angeschaut, genauer gesagt: „Game of Thrones“. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, ich musste es tun. Die einen sagen jetzt sicher „yeah!“ die anderen rollen mit den Augen. Aber „Game of Thrones“ war unsere Serie: An irgendeinem Wochenende haben wir dann nach Feierabend am Samstag das ganze Wochenende die komplette Staffel durchgeschaut. Der Kühlschrank war voller Essen und der Fleischmagnet (Sofa) hat uns nur für den Gang aufs Klo oder zum Essen holen los gelassen.

Ich habe mal gelesen, dass so ein Serienmarathon eine beziehungsbildende Tätigkeit ist, so wie ein gemeinsames Erlebnis, eine Tätigkeit oder eine Reise. So war es auch bei uns.

Am Ende jeder Staffel, also so nach 13 Stunden fesselnder Spannung, waren wir komplett mitgenommen, der Cliffhanger pockerte wie wild im Hinterkopf und wir zwei guckten uns seltsam leer an und dachten so: „Alter! Wie geht die Story jetzt weiter? Wir müssen wissen wie es weiter geht!“

Entsprechend haben wir uns so auf die letzte Staffel gefreut. Als Steffen im Dezember die erlösende Nachricht bekam, dass der Krebs weg ist, war einer der ersten Sätze: „Da können wir ja gemeinsam GOT sehen!!“. Ja ich weiß, ganz schön irre.

Als dann jedoch Steffen plötzlich starb und die Beerdigung auf den 12. April festgelegt wurde, war ja klar, dass das VÖ-Datum der letzten Staffel auf den 14. April fiel. Das passte. Aber da ja Steffen zu dem Zeitpunkt schon längst auf der anderen Seite war, konnte er sich die ganze Staffel schon vorab, wo auch immer er ist, ansehen. Weil er es kann. Ich musste bis jetzt warten.

Aber nun liege ich an diesem sonnigen letzten freien Tag, bevor meine neue Arbeit beginnt, im Bett und schau mir die bisher ausgestrahlten drei Folgen an und heule Rotz und Wasser. Dass ich das alleine anschauen muss, ohne Steffen, jetzt wo alle Fäden des Plots zusammen geführt werden, ist hart.

Na super! Die Türen zur Trauerhölle wurden in diesem Moment eröffnet:

Im ganzen weiteren Tagesverlauf leide ich und heule wie ein Schlosshund, denn am ersten Mai sind Steffen und ich immer vor die Tür gegangen, haben uns und Kreuzberg gefeiert. Sind mit dem Fahrrad herum gefahren, haben uns ein Bier im Späti geholt und uns irgendwo auf eine Decke gesetzt, gequatscht und gelacht. Herrlich war das.

Heute vor genau einem Jahr …

Immer wieder kommen andere Erinnerungen. Jedes Jahr um den 8. Mai herum sind wir in das Riesengebirge gefahren. Wir haben eine Hütte gemietet und meinen Geburtstag da gefeiert. So wie es da ist, so schön, so haben wir uns immer unseren Alterssitz vorgestellt. Seit 2004 sind wir jedes Jahr dorthin gefahren. Dieses Jahr bin ich nicht dort, aber dafür meine Facebookerinnerungen.

Das wird der schlimmste Geburtstag meines Lebens.

Ich heule also einfach den ganzen Tag, es muss doch auch mal irgendwann aufhören, verdammt. Wo kommt das ganze Wasser her?

Verzweifelt versuche ich einzuschlafen, da ich doch am nächsten Morgen um 5:00 Uhr aufstehen muss, weil ich dann meinen ersten Arbeitstag habe.

Die Vorfreude ist nicht allzu groß, daher ist mein letzter Wunsch bevor ich einschlafe:

„lass mein scheiß Herz endlich stoppen, damit ich wieder bei Steffen sein kann. Ich halte das nicht mehr aus!“

und an Steffen gerichtet:

„wenn Du mich bei Dir haben willst, hole mich bitte heute Nacht ab“

Meine Mantras an jedem Abend in diesen Nächten, um ehrlich zu sein.

Der 2. Mai – erster Tag auf Arbeit

Aber Steffen will mich auch in dieser Nacht nicht bei sich haben. So leicht stirbt es sich dann doch nicht.

Also klingelt wie gewohnt mein Wecker, ich stehe auf und fahre zum Schloss. Mein erster Arbeitstag als Angestellte nach 12 Jahren. Ich fahre dort hin, wo Steffen und ich gemeinsam so viele Hochzeitsaufträge bekocht haben, dorthin wo ich als das Catering aus Berlin angetreten bin. Dorthin fahre ich jetzt als Angestellte. Selbstständige verstehen diesen Pein.

Alle sind total lieb zu mir, ich habe scheinbar Welpenschutz, weil ich eh kurz vor irre bin. Sie haben ja auch recht – normal ist das nicht, was ich fühle. Nach dem Mittag fahre ich auch schon wieder zurück nach Berlin, da wir alles für die beiden Folgetage besprochen haben.

Der Heimweg ist schlimm. Ich habe Steffens Playlist laufen und heule Rotz und Wasser. Mal wieder. Kein Steffen sitzt an meiner Seite. Zuhause angekommen liegt da kein Steffen auf dem Sofa. Niemand hat Essen gemacht. Die Wohnung ist leer. Mein Herz krampft. Ich telefoniere mit meiner Freundin, das hilft etwas.

Wieder die selbe Einschlafprozedur. Meine Todes-Mantras. Doch auch am nächsten Tag wache ich wieder auf. Natürlich.

Also fahre ich am Morgen als erstes in die Berliner Metro, da wir Rinderknochen für die Rinderbrühe benötigen. Sowas Exotisches gibt es nämlich in der Prenzlauer Metro nicht. Ich war kurz fassungslos. Der Fleischer dort auch. Verrückter Wunsch. Aber gut, ich wohne in Berlin, da gibt es fast alles.

Ich halte noch mal kurz an unserer alten Cateringküche in Berlin Weißensee und packe Dinge ein und fahre los Richtung Schloss. Genauso wie früher, nur dass alles anders ist. Die ewige Playlist läuft. Ich bin nur am Heulen. Die Sonne scheint mir ins Gesicht, es ist so schön, alles grünt, das Licht ist so speziell. Ich heule.

Ich fahre von der Autobahn herunter und genieße die wunderschöne Uckermärkische Landschaft. Seen glitzern durch Bäume. Die frischen Blätter an den Bäumen sind so wunderbar lindgrün wie nur in diesen zwei Wochen im Mai. Ich verspüre ganz kurz ein Durchblitzen der Schönheit des Moments.

Die Katze

In dem kleinen Wassergraben, der aussieht wie das Bächlein in diesem wunderbaren Gemälde „Ophelia“ von John Everett Millais blühen kleine zarte weiße Blümchen, die ich noch nie vorher bemerkt habe. Es ist so schön.

Ich beschleunige langsam, während ich die Ortschaft verlasse und sehe, wie mir hangabwärts ein Transporter entgegen kommt. Ich bremse leicht ab. Aus dem linken Augenwinkel sehe ich, wie eine rote Katze Richtung Straße geprescht kommt. Der Transporter sieht die Katze nicht.

Ich weiß ganz genau, was jetzt passieren wird.

Etwas, was ich noch nie miterleben musste, ich habe immer nur die Reste gesehen, die danach übrig bleiben, wenn es keinen Menschen zu der Miez gibt. Wenn es keine Menschen gibt, die sich um die tote Miez kümmern oder wenn der Mensch es einfach noch nicht weiß.

Schreiend reiße ich die Hände vom Lenkrad weg und halte mir während der Fahrt die Augen zu.

Der Transporter erwischt die Katze.

Aus einem Reflex heraus schaue ich in den Rückspiegel und sehe, wie die angefahrene Katze sich von der Straße schleift. Kurz denke ich darüber nach, anzuhalten, um der Katze zu helfen. Ich schaffe es nicht. Mir kommt es hoch. Ich muss fast brechen. Ich fahre weiter, bis zur nächsten Einbuchtung und stoppe das Auto. Und schreie und weine.

Ich liebe Katzen so abgöttisch wie andere Menschen Kinder lieben.

Ich wusste nicht, dass man meinen Schmerz noch steigern kann.

Aber ja, man kann. 

Und das Härteste daran ist, dass das eigene scheiß Herz einfach nicht stehen bleibt. Es schlägt einfach weiter! Du kannst nicht einfach so durch Willenskraft dein Leben beenden. Obwohl es jetzt wirklich reicht!

Mein Kopf fühlt sich ganz komisch an. So als wäre das Hirn seltsam schwammig und in ihm sirrt es komisch. Ein vollkommen neues Gefühl. Ich werde, glaube ich, komplett verrückt.

Und kein Steffen mehr da, zum darüber reden.

Fasse dich!

Also muss ich mich ganz alleine hochraffen.

Dieses elende Pflichtbewusstsein in mir wischt den Tod der armen Mieze einfach weg. Denn ich muss ja zum Schloss fahren, ich muss in dreißig Minuten dort sein und ich hab noch mehrere Kilometer Fahrt vor mir.

Als ich im Schloss ankomme, will ich meine Geschichte, mein Leid, irgendwie los werden. Doch die dicken abgehärteten Dorfmädels berührt die Geschichte mit der Mieze überhaupt nicht.

Ist doch bloß eine Katze.

Sofort muss ich meine Gefühle wieder abschirmen und herunterdrosseln auf den Status von emotionalem Pudding frisch lobotomisiert.

Nein, das hier ist definitiv kein Zusammenarbeiten wie mit Steffen. Es ist die Hölle. Die Zeiten sind unwiderbringlich vorbei, in denen man während der Arbeit tolle Gespräche führen konnte.

Pflichtbewusst kann ich jedoch und am Ende stehen zwei Buffets an zwei Abenden und ich fahre danach erlöst endlich wieder zurück in mein geliebtes Berlin, zu meinen Freunden, die das verstehen.

Das Landleben ist nichts für mich.

Muss man sich auch eingestehen können und erst mal erfahren haben.

danaheidrich.com/.well-known/apple-developer-merchantid-domain-association