Ein sonniger Morgen, mal wieder. Aber jetzt neu: mit Septemberlicht. Wunderschön. Für mich sind der Mai und der September die schönsten Monate, da die Sonne in einem bestimmten Winkel steht, so dass alles weiter, leichter und klarer erscheint. Man stellt sich ans offene Fenster und atmet die ganze Stadt ein.

Nach 11 Stunden Tiefschlaf sind wir beide aufgewacht. Steffens Körper verträgt die zweite Chemo verdammt gut. Ihm geht es besser als gestern, er hat kein Fieber. Er schwitzt zwar wie ein Tier, aber das mach die Chemotherapie mit ihm. Die Giftstoffe müssen ja raus. Man kann sie richtig an ihm riechen, er schmeckt es die ganze Zeit im Mund, das ist schlimmer. Der Geruch erinnert an alten schimmligen Salbei.

Jetzt sieht man doch schon an Steffen die Auswirkungen der Chemotherapie. Die Haare sind weg. Und er hat diese komische Chemotherapie-Hautfarbe. So leicht rötlich. Das gibt sich aber immer so nach fünf Tagen, nachdem die Pumpe abgenommen wurde.

Aber, jünger sieht er aus. Richtig frisch! Woran liegt das? Die ganzen grauen Haare sind weg, die hat er als erstes verloren. Danach hat er den ganzen Kopf rasiert, so dass er die Kontrolle behält, und nicht der Krebs. Und dann hat er auch seit einem Monat keinen Tropfen Alkohol angerührt und die Ernährung auf hauptsächlich vegetarisch umgestellt. Es ist wohl mal wieder die Summe der einzelnen Teile.

Der Bubbel unter dem T-Shirt ist der Port, in den die Chemo-Flüssigkeit gepumpt wird. Dieser Port ist für uns beide der abstrakteste Part. Erinnert irgendwie an Alien. Steffens Bodymod aus der Hölle.

Und mein Kopf fährt immer Achterbahn, solange der Schlauch noch mit der Flasche und dem Port verbunden ist, dass er einfach mal an der Tür hängen bleibt und alles rausfetzt. Wie so ein Schlüsselbund, den es aus der Tasche zieht oder die Ohrenstöpsel vom Handy. Kalter Schauer.

Die letzte Immuntherapie gegen den Epstein-Barr-Virus

Steffen kommt heute wieder in die Charité um die Chemotherapiepumpe abzunehmen und seine letzte und vierte Runde Immuntherapie gegen den Epstein-Barr-Virus zu bekommen. Laut Blutbild ist  der eigentlich gar nicht im Blut nachweisbar, aber die Ärzte gehen auf Nummer sicher und folgen dem Protokoll, welches vier Immuntherapien vorsieht. Wahrscheinlich steht jetzt an irgendeiner Darmwand von Steffen: „Epstein-Barr was here“. Steffen bleibt von heute, Dienstag, bis Donnerstag in der Charité zur Überwachung, wie er die letzte Epstein-Barr-Infusion übersteht.

Ich überlege, ob ich in der Zeit, wenn Steffen nicht zuhause ist, doch zu meinem Papa fahre, er hat morgen Geburtstag. Seinen 75. Vor langer Zeit, also seit vor der Krebszeit habe ich den morgigen Tag freigehalten, so dass wir mit Papa Geburtstag hätten feiern können. Ich habe mir das so schön ausgemalt, das Wetter ist optimal, man hätte im idyllischen Garten gegrillt und vielleicht hätte man noch ein paar Leute dazu organisiert die mit uns den Papa feiern.

Nun haben wir Steffens Krebs und alles ist anders. Aber ein Gedanke schiebt sich in mein Hirn. Wenn Steffen doch eh bis Donnerstag im Krankenhaus ist, kann ich doch trotzdem nach Hause zu Papa fahren. Ich kann es als Überraschung verpacken und fahre heute nachmittag die elenden 300 km in vier Stunden. ich brauche es Steffen nur nicht zu sagen. In meinem Kopf bildet sich eine Denkschleife, wie ich wann wie losfahre um dann wieder pünktlich Donnerstag früh in Berlin zu sein. Mein Bruder will auch morgen mit Familie zu Besuch kommen und irgendwie will ich den endlich auch mal wieder sehen. Habe ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen.

Aber ich kann keine Geheimnisse vor Steffen haben, also sage ich es. Er bittet mich, hier zu bleiben. Er sagt, ich vertraue Dir, aber nicht den anderen Autofahrern. Du hast einen Großauftrag am Samstag und wenn Dir was passiert, kann ich nicht helfen, da ich im Krankenhaus liege. Bleibe bitte hier und erhole dich.

Ich heule, bin unfassbar traurig, dass ich nicht mit meinem Papa feiern kann. Aber Steffen hat natürlich recht. Es ist vernünftig. Seit das Schicksal dieses Jahr wieder einmal das Füllhorn aus Scheiße über uns ablädt, muss man nicht noch zusätzliche Risiken eingehen. Also werde ich mich weiter um den Blog kümmern. Ich male endlich mal wieder. Und vielleicht sollte auch ich ein Kochbuch starten?

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