Halb Sechs werde ich von ganz allein schon weit vor dem Wecker munter. Heute ist wieder Hochzeitscaterings-Samstag auf Schloss Kröchlendorff!!

Mein Puls geht schon automatisch etwas höher. Immer. Weil immer irgend etwas bei den Hochzeitscaterings auf dem Schloss schief geht. Also gehe ich noch mal schnell in die Badewanne, bevor der Tag beginnt.

Unterbewusst will ich mir die Illusion geben, dass ich doch nicht vor die Tür muss. Aber die Realität ist wie immer härter und gnadenlos, und schnell ist Schluss mit lustig. Also fahre ich nochmal in die Metro und kaufe die restliche benötigte Tiefkühlware und die frischen Kräuter für den heutigen Hochzeitsauftrag ein.

In der Küche packe ich schon alles für die Fahrt in die Thermoboxen zusammen, dann kommt mein Helfer, ich bin sehr beruhigt. Warum bin ich beruhigt?

  • Weil immer die Angst im Hinterkopf ist, dass die bestellte Servicekraft/Hilfskraft/der Fahrer nicht kommt und ich an so einem wichtigen Tag alles alleine machen muss.
  • weil Herr P., der mir diesmal helfen wird, von mir persönlich ausgewählt wurde, nachdem die Chemie mit dem letzten Helfer beim besten Willen – da kann diese Person auch nichts dafür – nicht gepasst hat, ich aber weiß, dass es mit Herrn P. sehr wohl passt. Er ist ruhig, zurückhaltend und bedacht. Genau das, was ich in den kommenden Stresssituationen brauche.

Als das Auto vollgepackt ist, starten wir bei schönstem Sonnenlicht. Wir quatschen die ganze Fahrt, und wie schon vorausgeahnt, läuft in der Küche auf dem Schloss auch alles geschmeidig. Fast ein bisschen so wie mit Steffen. Natürlich muss ich Herrn P. alles erklären, was wann wie gemacht wird und wie es geschnitten wird und wie es angerichtet wird. Aber dann, wenn er es erklärt bekommen hat, funktioniert alles wie von selbst.

Es gibt wieder Vorsuppe an den Platz, also wird Herr P. abgeordert, um die Suppe in die Suppentassen einzuschenken, welche dann von den Servicekräften an die Plätze serviert wird. Ich bringe dann die restlichen Speisen für das Buffet hoch.

Und ganz am Schluss den allerwichtigsten Part des Buffets: die medium gebratenen Hüftsteaks. Alle hatten mich im voraus verrückt gemacht, ob diese wohl etwas werden. Dass sie ja auch alle rosa innen sind. Und dass die Steaks dann am Ende auch warm und medium auf dem Buffet bzw. noch viel wichtiger, auf dem Teller landen.

Zu oft hört man, dass entweder das Fleisch auf dem Teller kalt ist oder als anderes Extrem, dass das Fleisch durch ist. Beide Möglichkeiten wären natürlich ein Fiasko. Es ist ja schließlich das Hochzeitscatering!

Zumal das Hochzeitspaar sich so auf das Steak gefreut hat, so dass das Paar auch die Schloßchefin verrückt gemacht hat, die mich dann verrückt gemacht hat usw. usf..

Mantrahaft betete ich also vor mich hin: 63 Grad Kerntemperatur. 63 Grad Kerntemperatur. Jeder der mich fragte, bekam die Antwort 63 Grad Kerntemperatur.

Also brate ich das Steak in der Grillpfanne von beiden Seiten scharf an, würze diese mit etwas Salz und Pfeffer und gebe sie in einen GN-Behälter. Stecke das Kernthermometer in ein Steak und stelle dieses auf 63 Grad ein.

Sicherheitshalber möchte ich nochmal nach der Temperatur googlen, aber das WLan ist ausgefallen und ich habe keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.

Zu stressig ist die letzte Stunde vor der Buffeteröffnung.

Als das Thermometer piept, nehme ich das Fleisch aus dem Konvektomaten und bringe die Hüftsteaks nach oben, mit einer exakten Kerntemperatur von 63 Grad. Die Hochzeitsreden werden gestoppt, da das Steak jetzt da ist.

Die Türen zum Buffet öffnen sich und ich beglückwünsche die beiden zur Hochzeit. Wir drücken uns, die beiden sind total lieb und herzlich.

Ich muss weinen, da das doch unser Hochzeitsauftrag mit Steffen war, doch nun ohne Steffen. Mit Tränen in den Augen verlasse ich geschwind den Raum mit dem Buffet.

Ich verabschiede mich von allen Schlossangestellten und der Chefin und springe die Treppen herunter und ziehe mich fix um. Herr P. hat schon das komplette Auto eingeräumt und wir starten sofort und fahren wieder zurück nach Berlin. 22:00 Uhr bin ich endlich nach 16 Stunden arbeiten wieder Zuhause.

Ich öffne die Wohnungstür diesmal zufrieden und erleichtert. Steffen begrüßt mich an der Tür, er hat gekocht.

Ich freue mich, ihn wieder zu sehen. Aber er kann sich nicht richtig freuen, denn er läuft ganz langsam und gebeugt. Ihm geht es gar nicht gut, er hat kaum Appetit. Die Chemotherapie haut gerade komplett rein. Er schmeckt nichts und hat ein pelziges Mundgefühl und er macht sich Sorgen, dass deswegen Sardinien ins Wasser fällt.

Die Euphorie, die ich ob des perfekten Hochzeitscaterings hatte, verfliegt direkt.

Sardinien haben wir übrigens damals Anfang des Jahres gebucht, als an noch nichts dergleichen wie Krebs zu denken war.

Sardinien ist so ein bisschen das Licht am Horizont, der schöne Fixpunkt in dem ganzen Wahnsinn. Etwas, worauf wir uns tierisch freuen. Aber Steffen wird in Sardinien genau in dieser Phase der Chemotherapie wie jetzt gerade sein, nur dass jede Chemotherapie härter und härter für ihn wird. Und das macht ihm natürlich fürchterliche Angst.

Ich versuche ihn etwas zu beruhigen, was leider nicht klappt und wir gehen zeitnah ins Bett.

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