Heute ist unser vierter Hochzeitstag. Und ich kann jetzt schon sagen, dass wir uns das beide nicht so vorgestellt haben.

Ich schlafe wie ein Stein. Um 4:00 Uhr werde ich wieder vor dem Weckerklingeln wach, dusche schnell und mache mich fertig für die Metro.

Die Spüle ist immer noch verstopft. Ich schütte mal wieder Natron und Essigwasser hinein. Während ich so auf den Ausguss stierend vor mich hin träume, realisiere ich, dass Steffen ja nichts im Krankenhaus hat. Kein Handy, keinen Wohnungsschlüssel, keine Klamotten. Und ich denke mir, oh, da muss er noch bis Mittag warten, denn dann bin ich erst mit den Aufträgen durch.

Ich packe meine Sachen und gehe zum Fahrstuhl. Es geht nur noch einer der beiden Fahrstühle, der andere ist kaputt. Im großen Fahrstuhl stehen bereits zwei Italiener, die aus dem Dachgeschoss kommen.

Der eine hat ein Sterni in der Hand, der andere ein feines Rennrad. Sie wünschen mir beim Verlassen des Fahrstuhls noch einen schönen Abend… Wie schön wäre es mal wieder, so die Zeit und den Raum zu vergessen. Aber dieses Leben ist halt vorbei.

Ein üblicher Morgen in Kreuzberg

Also, ab zur Metro, ich kaufe ein und schaue auf die Uhr, es ist erst um 06:00 Uhr. Außerdem ist heute nicht so viel zu tun wie gestern, ich bin viel zu früh dran! Genau eine Stunde!

In diesem Moment fällt ein großer Baustein in meinem Hirn um, ich habe ja noch über eine Stunde Zeit! also fahre ich zurück nach Hause und packe einen Beutel für Steffen mit allen wichtigen Dingen und fahre direkt in die Charité.

Halb Sieben ist die Stadt im Zentrum noch leer. Das ist jeden Morgen faszinierend, wie sich die Stadt täglich aufs Neue von außen mit Büromenschen füllt, die aus ihren Reihenhaussiedlungen am Rande der Stadt in die Stadt zum arbeiten fahren. Ein bisschen wie Venedig vor um 8. Da ist man auch noch allein mit den Einheimischen.

Nierenversagen

Im Krankenhaus ist ebenfalls noch alles still, die Pfleger sitzen im Frühstücksraum, ich störe kurz. Der diensthabende Arzt bringt mich zu Steffen. Steffen liegt noch im selben dunklen Aufnahmezimmer im Inneren des hohen Bettenhauses. Ohne Fenster. Ohne Zeitgefühl. Sie haben ihm ein zweites richtiges Bett hingestellt und mit einer zweiten Decke zugedeckt.

In der Nacht haben sie ihm auch noch ein Katheter gesetzt, da er zu verwirrt war und immer auf die Toilette wollte, obwohl er viel zu schwach war. Er hat sich aufgeführt wie eine Sau.

Ich spreche kurz mit ihm, aber erst ist immer noch nicht richtig da und bockig mit mir. Ich lasse ihm den Beutel da und fahre nun zur Arbeit. Mit einem dicken Kloß im Bauch und Angst.

War das ein Nierenversagen? Bleiben Schäden? Braucht er eine neue Niere? War ich zu voreilig, das Catering weiter zumachen? Ist es vielleicht doch alles nicht so einfach?

Auf Arbeit öffne ich die Zwischentür zur Küche, die mir aus den Angeln direkt wieder entgegen fällt. Na das passt ja auch super.

Ich muss Herrn E. fragen, ob er mir das repariert und stelle die Tür zur Seite und fange an zu arbeiten. Mittag ist alles fertig und ich liefere aus und hole Reste von gestern ab.

Alle sind über das Essen happy und sagen, sie kennen keinen Caterer, der uns das Wasser reichen kann, es ist so toll, dass wir weiter machen. Soll ich weiter machen? Ich bin entmutigt. Ich weiß gerade gar nicht, wie ich reagieren soll und was ich denken soll.

Und plötzlich schreibt Steffen allen Freunden und Familienmitgliedern über WhatsApp, was passiert ist. Das bedeutet, ihm geht es etwas besser. Zuhause angekommen, springe ich sofort auf das Rad. Es ist stressfreier so, da ich keinen Parkplatz suchen muss und so mehr Zeit für Steffen habe. Von der heutigen Essenslieferung habe ich Kartoffelgratin und grüne Bohnen eingepackt und  einen Liter Chaga-Tee.

Tilda

In der Charité angekommen nehme ich natürlich den Fahrstuhl und checke mein Handy. Auf dem Weg nach oben lese ich, dass heute die kleine Tilda geboren wurde. Die kleine Tochter unserer lieben Freunde Freunde H. und R. Ich fange sofort an zu heulen. Was für ein Datum. Unser Hochzeitstag und der Geburtstag der kleinen Tilda.

Steffen liegt auf Zimmer 4 und ist endlich fitter. Ich bin so erleichtert, und heule gleich wieder los. Wir tauschen uns aus, über alles was in den letzten 24 h geschah. In der Mikrowelle mache ich ihm das mitgebrachte Essen warm.

Über den ganzen Tag verteilt bekommt Steffen 5 l Flüssigkeitsinfusion. Er hofft, er kommt schon morgen wieder nach Hause, oder zumindest am Samstag. Am 10.11.. Zu seinem 40. Geburtstag.

Mein Essen schmeckt ihm sehr gut. Es ist das erste Essen seit 24 h, welches er bei Sinnen isst. Jetzt kann ich ihn beruhigt im Krankenhaus lassen und mache mich auf den Nachhauseweg. Da der Abfluss immer noch verstopft ist, werde ich unterwegs etwas essen.

Also stoppe ich beim Köftemann in der Adalbertstraße und atme das erste Mal seit 48 Stunden durch. Versonnen schaue ich aus dem Schaufenster, bekomme vom Inhaber einen süßen schwarzen Tee geschenkt und genieße es aus tiefstem Herzen, in Kreuzberg zu wohnen. 

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