Sonntagmorgen. Der schönste Tag der Woche. Einmal nicht arbeiten müssen! Göttlich!

Völlig gerädert wache ich auf. Wie jedes Mal nach so einem Arbeitsmarathon.

Steffen hat schon die Raben auf meinem Balkon gefüttert, er hat also ganze Erdnüsse auf die Balkonbrüstung gelegt.

Nun liege ich im Bett und schaue den Raben zu, wie sie die Einflugschneise zu unserem Balkon nehmen und mit großem Geschrei alle Erdnüsse auffressen. Ein Anblick, der mich stets beruhig und glücklich macht. Dahinter der endlose Berliner Himmel.

Ich habe nach dem gestrigen Tag einen völlig verspannten Rücken und packe mich erst einmal auf die Pilatesrolle und rücke mich wieder zurecht. Danach krieche ich wieder zu Steffen ins Bett und lasse den gestrigen Tag Revue passieren.

Ich denke über die Hüftsteaks nach und google noch einmal die Kerntemperatur.

Das Internet sagt 54 Grad! 54 nicht 63!

Was für eine riesige Scheiße!

Wie bin ich auf diese Temperatur gekommen? Es ist die Kerntemperatur für Kalb, wenn man Vitello Tonnato macht. Das ist richtig, aber nicht für Steaks.

Ich habe es verkackt.

Das Essen, was das Wichtigste war von allen. Die Hüftsteaks. Mein Magen verkrampft sich. Ich versuche die Schuld auf etwas anderes zu schieben, aber es ist meine elende Schuld.

Der Tag ist für mich gelaufen.

Schuld

Dieser ganze Aufwand, diese tägliche Energie, jeden beschissenen Tag aufzustehen, diese ganze Planung der letzten Tage, die so einem aufwändigen Tag vorausgehen, mein kaputter Körper heute, alles umsonst, weil die Temperatur falsch war. Normalerweise schreibe ich die immer auf meine To-Do-Liste für den jeweiligen Tag, damit ich in der Aufregung nachsehen kann. Aber ich merke, meine persönliche Aufmerksamkeitsspanne und Energie geht immer mehr und mehr herunter. Das Pensum ist so hart: Selbstständigkeit zu 170% und einen Krebskranken zuhause zu Pflegen. Und keine Familie, keine Hilfe weit und breit.

Also stehe ich wieder auf, setze mich an den PC, mindere die Rechnung für das Paar, gestehe meine Schuld ein und hoffe, dass es damit ein wenigstens gut ist. ich versende die Rechnung per E-Mail und warte auf Antwort. Natürlich wird jetzt um diese Uhrzeit keine Antwort kommen.

Nachher stehen wir auf und frühstücken, aber mein Versagen sirrt weiter durch meinen Kopf und ich schelte mich das ganze leckere Frühstück lang für diesen Fehler. Und ich habe extra leckeres Spiegelei bekommen und einen gesunden Smothie. Aber nichts holt mich aus dem Tief.

Steffen möchte sich unbedingt eine Runde bewegen, was ja vollkommen richtig und notwendig sind. Er muss jeden Tag mindestens 30 Minuten laufen oder sich anderweitig bewegen, damit die Muskeln nicht zu sehr schrumpfen, der Kreislauf am drehen bleibt und der Hunger wiederkommt. Also alles Gründe, warum sich jeder eigentlich mindestens 30 Minuten pro Tag bewegen soll.

Irgendwann raffe ich mich also auf, ich will Steffen nicht hängen lassen. Steffen geht es heute schon um vieles besser und ich sage, ok, lass uns mit dem Fahrrad eine kleine Runde durch Kreuzberg fahren. Es ist wunderbares Septemberwetter, sonnig und klar.

Depression

Wir nehmen die Fahrräder und fahren vor die Tür. In dem Moment, wo ich das Haus, sogar schon die Wohnung verlasse, fühle ich mich so unwohl. Nakt und schutzlos, denn ich habe den Schutz meiner Wohnung nicht mehr. Ich setze mich auf mein Rad und fange an zu fahren, aber während der Fahrt fange ich an zu weinen. Das hier ertrage ich gerade einfach nicht, ich kann jetzt einfach keine Menschen sehen, denn ich denke, dass alle mich anstarren. Ich muss sofort zurück in meine Wohnung! Zurück in meinen Kokon. Steffen bringt mich also wieder zum Haus und fährt aber dann selbst eine Runde mit dem Rad und lässt mich allein in meine Wohnung gehen.

Allein sein ist gerade sehr gut. In diesem Zustand kann mir keiner heraushelfen. Dann brauche ich nur eine Decke über dem Kopf.

Ich wälze mich in Selbstmitleid. Denn Selbstmitleid ist am Ende doch auch nur Empathie mit sich selbst, oder? Und daher auch eine Form von Liebe, irgendwie. Das rede ich mir ein.

Freunde schicken derweil Nachrichten und fragen wie es uns geht. Ich hoffe Steffen antwortet. Ich kann es gerade nicht. Mir kann ja sowieso keiner helfen.

Ich muss hier irgendwie durch, ich laufe auf dem Zahnfleisch, bin nur noch ein Häufchen Elend und habe keinen Ausweg. Und eigentlich darf ich mir auch nichts anmerken lassen, wegen Steffen. Sonst ziehe ich ihn runter oder er würde sich Sorgen um mich machen, aber er muss ja positiv bleiben. Aber er merkt es sowieso. Er ist eben die Person Nummer 1 in meinem Leben. Die Person, die alles direkt und ungefiltert abbekommt. Aber er ist glücklicherweise viel pragmatischer als ich und lässt sich von mir nicht mit der Depression anstecken.

Nächste Woche wird er wieder vor Energie sprudeln, während ich nur noch tot umfallen möchte.

Als Steffen von seiner Radtour zurückkommen, reden wir. Er baut mich auf. Abends habe ich mich dann etwas gefangen und Hunger und partout keine Lust zu kochen. Also fahren wir zu unserem Chinesen und essen bewährtes Essen für unsere Seele. Dort gibt es schließlich auch 20 Teigtaschen für 10,90 EUR. Das fängt mich immer wieder auf.

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