Am Vormittag des 12.07. versuche ich nun endlich nach den gelähmten letzten Tagen und der furchtbaren Diagnose unser Selbstständigendasein zu sortieren, welches so nicht mehr für uns weitergehen wird.

Die letzten drei Tage fühlen sich an, als wäre ein Komet neben uns eingeschlagen und alles um uns herum ist zerstört worden. Ich kann nur ganz langsam anfangen, die Trümmer zu sortieren.

Unser kleines gemeinsames Catering, unser Baby, welches nach 10 Jahren täglichen Kampfes endlich läuft, muss ich vielleicht einstampfen. Ich heule Rotz und Wasser.

Aber erst einmal haben wir noch mehreren Hochzeitscaterings zugesagt, welche natürlich trotzdem ausgeführt werden müssen. Ohne Steffen. Da sind die zukünftigen bestätigten Angebote, die geliefert werden müssen, ohne Steffen.

Bisher war unsere Arbeitsteilung: ich koche und plane und organisiere, Steffen hilft in der Küche, macht die Logistik und liefert aus, da das körperlich anstrengender ist und ich das nicht gerne mache. Nun muss ich das wohl alles ganz alleine machen und mich meinem Auslieferdämon stellen. Ich muss hier eine Struktur finden und wie ich es alleine mit minimaler Hilfe schaffe.

Ich schreibe unserem Personalvermittler und dem Steuerberater. Quartalsausgaben von über 6000 EUR warten auf uns, das kann mir gerade das Genick brechen.

Irgendwann an diesem 12.07. fahre ich gegen 10:00 Uhr in die Metro und kaufe alles für die BlueManGroup ein und bereite es zu. Ratatouille, spanische Hackbällchen in Tomatensoße und Kurkumareis. Ich liefere aus und fahre dann direkt in die Klinik, da es regnet. Das erste Mal seit Wochen.

Steffen geht es gut. Er hatte seinen Lieblingskuchen zum Kaffee (ja, es ist kein normaler Krankenhausaufenthalt!) – Rhabarberkuchen mit Erdbeeren!

Wir reden über dies und dass, alles ist entspannt, dann kommt die Ärztin.

Sie sagt uns, dass heute am 12.07. die einmal wöchentlich am Donnerstag stattfindende Krebskonferenz, in welcher sich alle führenden Krebsspezialisten der Stadt Berlin aus der Charité, dem Vivantes Klinikum und ähnliche Koryphäen treffen und beraten, um die Behandlungen der jeweiligen aktuellen Fälle zu optimieren, getagt hat. Steffens Akte war ganz oben, aufgrund der Brisanz des offensichtlich schnell wachsenden bösartigen Karzinoms. Es wurde nun beschlossen, dass Steffen stationär eine Chemo mit Bestrahlung bekommt.

In zwei Wochen haben wir einen Termin mit dem Chefonkologen des Virchowklinikums, vorher muss Steffen aber noch ins Vivantes Klinikum zum Pneumologen, da auf einem Lymph auf der Lunge ein Schatten ist. Der Termin ist nächste Woche. Und obendrein muss Steffen noch diese Nacht im Krankenhaus bleiben, um zu schauen, wie seine Nase heilt.

Ok, das muss ich erst einmal alles sacken lassen.

Das Gefühl hat was von Gewissheit und Fügsamkeit. Sich dem Schicksal fügen. Wenn man sich nie mit der Thematik beschäftigt hat, suggeriert das mächtige Wort „Krebs“ unausweichlich immer „Tod“.

Die letzten Tage erhielten wir bei jedem Termin mit einem Arzt von zwei Möglichkeiten einer Antwort garantiert immer die Scheiße-Option der möglichen Antworten. Die heutige Scheiße-Option lautet „5 Wochen stationäre Chemotherapie“ – bisher hieß es ja, „ambulante Chemotherapie“, also schön zuhause sein, feines Essen bekommen und ab und zu Steffen zur Chemo fahren.

Die neue Option bedeutet jedoch nun für mich

  • offensichtlich ganz übler Krebs
  • keine Ruhe zuhause für Steffen
  • kein ordentliches Essen für Steffen
  • Risiko, sich mit Krankenhauskeimen anzustecken

Jetzt gibt es nichts mehr groß zu sagen, wir haben beide einen Kloß im Hals. Ich fahre nach Hause, bestelle mir noch fix eine Pizza zum mitnehmen und fahre heulend durch die Stadt, was nicht auffällt, da es regnet. Dazu noch ein Bier, die Pizza zwinge ich mir rein, ich habe in den zwei Tagen schon 2 Kilo verloren, dort, wo sich sonst nie eine Nadel bewegt.

Später an diesem 12.07. bekomme ich eine Panikattacke. Diese Art Panik war mir neu, da war viel Scheiße bisher in meinem Leben, existentielle Scheiße dank Finanzamt, Bandscheibenscheiße, und als Krönung der Hirnschlag bei meiner Mutter, als ich erst 21 Jahre alt war, aber dieses Gefühl ist neu. Existenziell.

Ein guter Freund starb nach der überstandenen Chemo und als er gerade den Blutkrebs besiegt hatte an dem Epstein-Barr-Virus, der halt in jeder Luft rumschwirrt. Ich hyperventiliere. Stelle mir vor, Steffen stirbt. Wie soll ich ohne ihn weiterleben? Kotze fast die Pizza aus, Heule wie verrückt.

Ich rufe meine Freundin an. Sie versucht mit zu beruhigen und muss selber heulen. Aber langsam wird es besser. Gemeinsam heulen hilft, weil einem der andere viel mehr leid tut, als man sich selbst. Sie bietet mir an, wenn es so scheiße endet, nach Wien zu kommen. Das Ganze klingt vielleicht erst einmal pervers, aber dass irgendjemand über das „danach“ redet, hilft ungemein. Irgendwann nachts um zwei schlafe ich ein, keine Meditation, nichts hilft. Der Körper ist komplett auf Adrenalin aber dennoch erschöpft.

Positiv am 12.07.:

nichts

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