Heute ist ein extrem wichtiger Tag für uns beide. Steffen spricht heute in der Radiologie des Virchowklinikums vor. Laut Arztbrief soll ein CT gemacht werden, um zu sehen, ob noch etwas vom Tumor da ist und bestrahlt werden muss. Das letzte Mal war er hier am 27.07.2018.  Desweiteren habe ich heute den letzten arschharten Arbeitstag voller Stress dieses Jahres vor mir.

Unmenschlicher Stress in der Küche

Ich Wahnsinnige habe am Abend einen Auftrag für eine Weihnachtsfeier angenommen und parallel noch einen Mittagsauftrag zum selbst ausliefern und die BlueManGroup mit 50 Personen möchte am Nachmittag natürlich auch essen.

Also bin ich heute doppelt aufgeregt und wache von allein um 03:00 Uhr auf. Ich stehe schon um 04:00 Uhr vor der Metro. Früher hat die Metro meines Erachtens schon um 04:00 Uhr aufgemacht, dem ist nicht mehr so. Also warte ich im Auto, bis endlich der Profieingang gegen 04:30 Uhr geöffnet wird.

Ich brauche eine Stunde um einzukaufen, irgendwie fängt gerade alles an länger zu dauern, als es sonst tut. Der Einkauf ist gigantisch. Mir wird ob des heutigen Tages mulmig und es ist erst um 05:00 Uhr. Die Stresskurve geht nach oben.

Ich räume so schnell ich kann all die eingekauften Massen ins Auto, dann in die Küche, dann räume ich alles in die Kühlschränke. Schon wieder ist eine Stunde weg. Was ist hier los?

Ich mache den Mittagsauftrag fertig und bereite nebenbei auch schon die BlueManGroup vor. Parallel setze ich Rotkohl und die Entenkeulen für 25 Personen an. Dann belade ich das Auto und liefere die Mittagslieferung aus. Die Entenkeulen backen derweil im Ofen.

Das kostet mich auch eine weitere Stunde, bis ich wieder in der Küche zurück bin. Glücklicherweise habe ich die Enten und das Rotkraut vorbereitet, so dass bei meiner Rückkehr dies alles fertig ist. Nun bereite ich im Vollstress noch den Rest für die BlueManGroup und die Weihnachtsfeier vor. Ich habe noch 2 Stunden, bis wieder Herr U. kommt um alles auszuliefern. Glücklicherweise hilft er mir.

Gibt es neues aus dem Krankenhaus?

Während des ganzen Kochprozesses warte ich auf Steffens Info ob des CT-Scan-Ergebnisses und schaue aller paar Minuten auf mein Handy.

Aber es gibt wieder keine Erlösung.

Die Ärztin will doch lieber einen PET-Scan machen, da dieser klarere Ergebnisse liefert. Das geht natürlich erst, wenn Steffens Blutwerte nach der Chemotherapie besser sind, da er für den PET-Scan nukleare Flüssigkeit ins Blut bekommt, damit die Krebszellen anfangen zu strahlen und so aufgezeichnet werden können. Also wird dieser Termin erst irgendwann in 2 Wochen stattfinden.

Und dann wird im neuen Jahr noch geschaut, ob er noch bestrahlt wird oder bei einer neuen Studie über das Nasopharynxkarzinom mitmacht. Also alles ist neu und nichts ist sicher. Diese Ungewissheit macht mich obendrein verrückt.

Catering Teil 2 – das Pensum ist kaum noch zu schaffen

Die Arbeit in der Küche wird derweil immer mehr. Der Abwasch stapelt sich. So ein furchtbarer Stress!

Die elenden fünf Extraportionen für die Veganer wollen auch noch gemacht werden: veganer Nussbraten, veganes Rotkraut und veganer Süßkartoffelstampf. Das Kloßwasser braucht noch, bis es kocht, und dann kommen erst die Klöße rein.

Und ach, die Brötchen für die Currywurst als Mitternachtssnack wollen noch aufgebacken werden. Und ja genau, die Currywurst muss auch gemacht werden. 

Ich werde langsam hysterisch. Die Arbeit wird immer mehr, der Stress auch und kein Ende ist in Sicht.

U. kommt auf die Minute genau um 15:00 Uhr, da es einen Stau wegen eines Unfalls gab. In dem Moment, in dem er ankommt, sind endlich die Klöße im siedenden Wasser oben aufgetaucht, so kann ich den letzten Warmhaltebehälter füllen. Der Rest ist schon reisefertig verpackt. Die Zeit läuft. Herr U. kann sofort losfahren. Ich bin total kaputt und habe keine Energie mehr, um abzuwaschen.

Da bekanntlichermaßen die Arbeit nicht wegläuft, schließe ich einfach hinter mir die Tür ab und fahre mit U. noch bis Berlin-Mitte mit. Von dort kann ich problemlos nach Hause laufen und sehe mal was von der Welt außerhalb der Küche und spare mir die Zeit in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich stinke eh nur nach Essen und sehe völlig fertig aus. Ich habe für heute den Kanal richtig voll.

Der Nervenzusammenbruch

Wieder habe ich den ganzen Tag nichts gegessen. Seit 12 Stunden, denn es ist 16:00 Uhr. Mir geht es elend. Die letzten Meter schleppe ich mich nach Hause und klappe fast zusammen. Das kann so nicht mehr weiter gehen! Ich bin völlig am Ende.

Zuhause bestelle ich online das Abendbrot. Heute koche ich sicherlich nicht mehr. Steffen ist völlig schlaff und hat auch keinen Hunger. Obendrein sind die Schleimhäute seines Mundes entzündet und jeder Bissen ist eine Qual. Dem zuträglich ist also auch nicht, dass ich mexikanisch bestelle. Aber ich habe nur Hunger und kann nicht mehr achtsam denken.

Endlich kommt das Essen, hungrig schlinge ich dieses in mich hinein. Mitten während dem Essen ruft U. an. Er ist bereits in der Location der Weihnachtsfeier.

Dana, hier fehlen zwei Gestelle für die Warmhaltebehälter. Was machen wir denn jetzt?

Die zwei Gestelle fehlen offensichtlich. Er müsste jetzt mitten im Berufsverkehr in die Küche fahren, wäre eine Stunde mindestens weg. Das geht nicht.

Das ist eine total beschissene Situation. Ich wollte ihn noch in der Küche bitten, die Gestelle vom hohen Schrank herunter zu holen, dort lagerte Steffen die Gestelle und das ist mir immer zu hoch.

Aber im Beladestress des Autos habe ich das total vergessen. Da sieht man wieder, wie sehr Steffen fehlt. Das wäre nicht mit ihm passiert. Ich muss ja jetzt neben meinen Verantwortlichkeiten auch immer noch Steffens Dinge zu 100 Prozent auf dem Schirm haben.

Nach dem Anruf breche ich komplett zusammen und heule. Natürlich nicht wegen der Gestelle, die waren nur der Trigger. Es ist eher die ganze Situation, der Stress der letzten Wochen, die Anspannung, wie es nun weitergeht. Das schmerzliche Fehlen von Steffen auf der Arbeit an jedem Tag. Die ganze Hilflosigkeit.

Und jetzt kommt was Neues: wegen der Aufregung und dem ganzen Stress fange ich an zu hyperventilieren und kriege mich eine halbe Stunde lang nicht mehr ein. Ich liege im Bett unter der Decke und komme nicht klar. Mein Herz rast. Ich bekomme Panik. Steffen fängt an sich Sorgen zu machen und will einen Krankenwagen rufen. Ich presse ein „das ist zu teuer“ hervor und versuche mich einzukriegen. Heulend schlafe ich ein und beruhige mich.

U. hat sich mit den Gestellen glücklicherweise selbst beholfen und bringt später die Autoschlüssel vorbei. Er bekommt das komplette Elend von mir mit. Das ist mir peinlich.

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