Fernweh nach Südindien
Die Zeit zwischen den Jahren ist nicht ohne Grund der beste Zeitpunkt, um über Vergangenes nachzudenken. Genügend Zeit also, um über meine Reise nach Südindien im letzten Jahr zu reminiszieren.
Es ist tatsächlich gerade erst ein Jahr her, dass ich mich mit meinen lieben Freunden erneut nach Südindien begab. Ja, haltet euch ganz fest: vor einem Jahr konnte man um diese Zeit noch in ferne und nahe Länder reisen! Der aufmerksame Leser hat sich außerdem längst zusammengereimt: „Mensch, Indien – da waren doch Steffen und Dana auch schon gemeinsam!“.
Ja, und du hast natürlich Recht. Ich habe jetzt schon das zweite Mal dieselbe Strecke in Südindien zurückgelegt. Das erste Mal gemeinsam mit Steffen und beim zweiten Mal ohne Steffen, obwohl er eigentlich in einem Paralleluniversum auch für diese zweite Tour mit eingeplant war, hätte nicht der Krebs so unerbittlich im Februar 2019 zugeschlagen.
Ständig haben Steffen und ich unseren Freunden V. und R. von diesem zauberhaften Land vorgeschwärmt, während der ganzen Krebserkrankung haben wir uns an der Reise nach Indien festgehalten und bald stand fest: Ende 2019 fliegen wir alle gemeinsam zu viert nach Südindien.
Memo an mich selbst: vielleicht sollte ich doch nicht nach Indien reisen, wenn danach immer etwas komisches passiert? Also ich meine 2017/18 Indien und danach Steffens Krebserkrankung, 2019/20 und danach Corona? Burn the witch!
Wie ihr wisst, ist das Schicksal jedoch manchmal ein Arsch und so fuhren wir nur zu dritt. Steffen konnte nur in Gedanken dabei sein, weil er leider sterben musste. Also war es an uns, diese Reise so würdig wie möglich zu begehen.
Besonders in dieser verrückten Corona-Zeit ist ja überhaupt nicht mehr an Reisen zu denken, daher nehme ich euch heute mal in ferne Welten mit und versuche ein bisschen das aufkeimende Fernweh auszumerzen und Sonne in dein Herz zu zaubern:
Mein erst Flug allein nach Chennai
Das erste Mal in meinem Leben flog ich nun die lange Strecke von Berlin nach Chennai ganz allein. Ohne Verantwortung, ohne Stress und ohne weitere Vorkommnisse. Das war vollkommen ungewohnt, denn bisher war jeder Flug nach Indien auf irgendeine Weise desaströs.
Seitdem ich jedoch allein bin und auch allein reise, läuft alles glatt. Das Universum merkt, dass ich vor nichts mehr Angst habe und ist gelangweilt. Man muss nämlich wissen, dass das Schicksal nur ängstliche Menschen, die sich in Gefahr begeben, richtig hart rannimmt. Genauso, wie man im Kindergarten nur die Kinder geärgert hat, die sofort losheulten. Es muss schließlich Spaß machen! Wenn keiner heult, machts keinen Spaß. Das weiß ich, das weiß das Schicksal.
So kam ich mutterseelenallein am 24.12.2019 früh um 4:00 Uhr in Chennai an. Als ich den Flughafen verließ, regnete es in Strömen, war dabei jedoch angenehm warm. War der Flughafen in den letzten zwei Jahren größer geworden?
Am Ausgang des Flughafens wartete der Reiseleiter auf mich ganz alleine, denn erst fünf Stunden später sollten V. und R. aus Wien ankommen. So hatten wir, der Reiseleiter und ich, genug Zeit, Chennai allein zu erkunden.
Na gut, fast, denn ein Fahrer stand für uns zwei bereit und fuhr uns in einem schönen alten rundgelutschten Auto indischer Fabrikation durch die Stadt, die sich in den letzten zwei Jahren schon wieder rapide verändert hatte.
Wir fuhren zu einem Tempel, da ich mir dies vor Reiseantritt gewünscht hatte. Das ist das schöne bei diesen kleinen Gruppenreisen, die man sogar nur zu viert buchen kann: die Reiseführer tun alles, damit wir Langnasen glücklich sind. Und seitdem ich mich mit Vastu beschäftigte, haben hinduistische Tempel für mich eine noch größere Bedeutung und Anziehungskraft bekommen, da ich mehr und mehr die Hintergründe verstehe. Wie bei Gemälden, Musik und Essen gilt: umso mehr man über die Hintergründe weiß, umso interessanter wird etwas.
Also fuhren wir früh um 5:00 Uhr zum Tempel und konnten das Morgenritual der gläubigen Hindus beobachten: Gottheiten wurden geschmückt, Blumengirlanden wurden ihnen umgehangen und kleine Öllampen mit Ghee gefüllt wurden angezündet.
Endlich war ich wieder in Indien und atmete die bekannte und tief vermisste leicht angekohlte indische Luft ein. Denn noch im August 2018 wachten wir beide unabhängig voneinander um 5 in Berlin auf, Steffen während der Chemotherapie in der Charité und ich zuhause, und schickten uns heulend WhatsApp-Nachrichten, dass es draußen wie in Indien riecht. Warum, könnt ihr in dieser Rückblende in das scheußliche Jahr 2018, nachlesen. An diesem Tag hätten wir alles dafür gegeben, hier in Chennai, in Südindien zu sein.
Hart schmerzte mein Herz, jetzt wo ich nun alles ganz allein, ohne Steffen, tun werde. Aber man gewöhnt sich auf furchtbare Weise an diese ganzen ersten Male des Alleinmachens. Man lässt den Schmerz gewähren, kann man doch eh nichts dagegen tun, heult eine fette Träne und denkt dabei an Steffen. Das neue normal halt…
Sonnenfinsternis in Pondicherry
Am dritten Tag unserer Reise durch Südindien übernachten wir drei in genau demselben Hotel, in welchem Steffen und ich schon vor zwei Jahren waren. Zugegeben, ich bin auch ein bisschen masochistisch, mir den Schmerz direkt so hart zu geben.
Aber ich bin mit meinen besten Freunden hier und habe auch schon einen Quantensprung an Selbstbewusstsein hinter mir, denn ich war gerade noch ganz allein im Laden gegenüber ein Kleid shoppen. Noch vor einem Jahr wäre so etwas unvorstellbar für mich gewesen und jetzt ist das Pipifax für mich. Wie gesagt, ich habe keine Angst mehr. Bei Dana 2.0 wurde „Posttraumatisches Wachstum“ als neues Betriebssystem aufgeladen.
Und rein zufällig ist heute eine partielle Sonnenfinsternis und wir mittendrin. Habe ich mich doch schon gewundert, warum das Licht heute so anders ist, siehe da, da ist die Auflösung.
Auf der Dachterrasse des Hotels halten uns Inder eine Schweißerscheibe vor die Nase, so dass wir auch die Sonnenfinsternis beobachten können. Als wir weiter zum Ashram von Sri Aurobindo fahren, stelle ich fest, dass alle Schatten auf dem Boden den Halbmond der Sonnenfinsternis widerscheinen. Ach was?
Die Tempel sind bei Sonnenfinsternis geschlossen, denn so würde die negative Energie hineingelangen. Man muss wissen, dass laut Vastu die Sonne mit der Gottheit Indra für die männliche Energie steht. Man stelle sich nur vor, die männliche Macht würde durch die weibliche Macht (der Mond) gestört werden! Skandal!
Backwaters
Worauf ich mich auf dieser Tour ganz besonders gefreut hatte, war eine Nacht auf einem Hausboot auf den Backwaters bei Kochi. Schon vor Jahren hatte mir eine Freundin davon vorgeschwärmt. Hier kann man sich beispielsweise für mehrere Tage ein Hausboot mieten.
Die Crew des Hausbootes ist gleichzeitig Servicekraft, Bootsmann und Koch. Während man also gemütlich über die schier unendlichen Gewässer der Backwaters schippert und ab und an ein kühles Getränk gereicht bekommt, muss man nur noch zum Essen aufstehen. Äh, obwohl… eigentlich nicht. Man kann auch einfach auf der Sonnenliege, in der Hängematte oder im Daybed liegen bleiben. Auf diese Weise kann man maximal entspannen. Dies ist der Himmel für Menschen mit dem Sternzeichen Stier, also mich. Danach braucht man nur noch zwei Wochen in einen Ayurveda-Spa dranhängen und daraufhin ist die Erleuchtung auch nicht mehr weit. So lässt es sich leben.
Und bei dieser Tour war eine Übernachtung auf dem Hausboot dabei. Mein Gott, war ich aufgeregt!
Um es kurz zu machen: es war einer der schönsten und entspanntesten Teile der bis dahin ziemlich aufmerksamkeitsintensiven Tage, die hauptsächlich aus aneinandergereihten Städtetrips voll wuseliger Tempelbesuche, irren Überlandfahrten und den buntest möglichen Eindrücken bestanden.
Geruhsam schipperten wir also nun durch die Kanäle der Backwater, Langeweile war unmöglich, denn an jeder Ecke fand sich ein komplett neues Fotomotiv: Palmen, spielende Kinder, Fischer, kleine Hütten.
Essen in Südindien
Meine Freundin ist genauso wie ich Koch. Zwei Küchendrachen auf einer Reise! Das kann nicht gutgehen. Geballte Klugscheißpower! Der arme Reiseleiter!
Das bedeutete für alle, dass bei jedem Feld, an dem wir vorbeifuhren und dessen Bebauung wir nicht kannten, angehalten werden musste: „Was ist das? Was wird hier angebaut? Wie wird das zubereitet?“, Gewürzplantagen wurden unsicher gemacht, Köche kochten für uns, was die Kombüse hergab.
Denn dies war eine weiterer Wunsch an unseren Reiseleiter: bring uns alle Speisen von hier herbei.
Mysore
Nachdem wir Kochi, diese brodelnde schwülheiße Stadt voller Gold und Seide, mit einer Metro-Hochbahn und tutendem Verkehr, überall aus dem Boden wachsenden Hochhäusern mit Eigentumswohnungen drin, die sich aus dem Dschungel in schwindende Höhe reckten, verließen, ging es wieder hinauf in die Ghats.
Die Ghats sind der Gebirgszug, der im gesamten Westen Indiens verläuft. Dort, wo der Pfeffer wächst und die Wolken brechen. Umso höher man sich schraubt, umso angenehm kühler wird es.
Nach mehreren Stunden kommt man endlich im wohl temperierten Mysore an. Das ist übrigens meine aktuelleh indischen Lieblingsstadt. Aber keine Sorge, dass kann sich schnell ändern, denn ich verliebe mich unglaublich schnell in fremde Orte und Landschaften.
Aber dieses Mysore… Ich sage es euch, ich bin schockverliebt. Sobald wir wieder reisen können, werde ich für ein halbes Jahr nach Mysore gehen!
Was ist an Mysore so anders?
Inmitten der Stadt befindet sich ein wunderschöner Maharadscha-Palast, der über und über mit Glühbirnen bedeckt ist. Echten Glühbirnen, kein Spar. Da dies so teuer ist, wird der Palast nur wenige Stunden an manchen Tagen „angeschaltet“. Aber genau diese Verknappung macht dieses Schauspiel so faszinierend:
Denn jeden Sonntagabend von 19 bis 20 Uhr und jeden zweiten Samstag von 19 bis 19.20 Uhr, wird die Palastfassade von über 80.000 Glühbirnen hell erleuchtet und erstrahlt in einem unfassbaren Glanz, der nicht von dieser Welt scheint.
Unweit des Palastes befindet sich das Marktzentrum. So einen übersichtlichen Markt hatte ich in Indien bisher noch nicht gesehen.
Obst konnte man hier das erste Mal sogar per Handy über AmazonPay (ja, Amazon Pay gibt es) bezahlen.
Und diese Weitläufigkeit und Weltoffenheit gilt für die ganze Stadt: breite Straßen, ordentlich geparkte Autos und unendliche indische Ladengeschäfte, die sich aneinanderreihen.
Meine Freundin und ich probierten uns erstmal durch die Pailettenläden. Welche Frau möchte insgeheim nicht einmal im Leben ausschauen, wie ein Bollywoodstar. Und auch die Inder hatten an uns einen Heidenspaß: ich Riesenfrau (1,80 m) war fast doppelt so groß und passte kaum in die Kabine, geschweige denn in den Pailettenfummel. Manche Dinge wollen einfach entzaubert werden.
Danach ging es noch in einen Laden, in welchem es die Pailetten pur, Glitzerfäden, Bordüren und Borten aller Art gab. V. und ich hatten nach kürzester Zeit riesige Pupillen, wie Katzen vor dem Weihnachtsbaum. Wir waren im Rausch! Mit einer riesigen Tüte voller Glitzerzeug im Gegenwert von 10 EUR (in Deutschland mindestens 100 EUR) verließen wir glücklich dieses Shoppingmekka für alle kreativen Menschen.
Mysore ist sehr indisch, ohne dabei jedoch aufdringlich zu sein. Es gibt viele Langnasen, da es hier einige renommierte Yoga-Schulen gibt. Unterkünfte über Airbnb sind hier unglaublich günstig. Wenn man sich rein vegetarisch und ohne Alkohol ernährt, nur ein Bett, WLAN und eine Waschmaschine braucht, kommt man hier mit 20 EUR pro Tag gut über die Runden. Ideal für Digitale Nomaden. … ups, jetzt habe ich meine Zukunftsidee verraten…
Reise
Ihr wollt auch einmal so eine Reise nach Südindien machen? Gar kein Problem, wenn Corona erstmal überstanden ist. Djoser bietet Reisen ab November 2021 an, das ist nach der Regensaison in Indien und man hat dann das beste Reiseklima. Bis dahin sollte es wohl eine Reise-Corona-Lösung geben!
Ich bin neuerdings über DJOSER als Reiseanbieter hier gestolpert, welcher eine 22-Tage-Tour durch Südindien anbietet, welche noch komplexer als unsere oben ausgeführte ist.
Mit Djoser geht es sogar noch an den südlichsten Punkt von Indien, streckenweise wird sogar mit einer alten Eisenbahn in die Berge gefahren.
Ich kann es gar nicht erwarten, bis ich meine nächste Reise nach Südindien machen werde.
Super Beitrag,das weckt auch bei uns Erinnerung .Eine wirklich tolle Reise. Wir waren schon 3 mal in Indien und können dir auch Nordindien wärmsten empfehlen. Das Essen ist ein wenig anders,aber auch Sau lecker..Am besten ein Streedfoot Tour machen. Varanasi war unser letzter Besuch in Indien in Verbindung mit Nepal und Bhutan.Falls Interesse besteht, schau mal auf meinem Blog.Ich wünsche dir und uns allen,das wir bald wieder neue Geschichten erzählen können.
Oh danke für den Tipp! In der Tat ist als nächstes Nordindien dran, unbedingt Varanasi, und am Himalaya vorbeikratzen. Ich habe mir ja auch schon eine Tour herausgesucht, die nur noch auf das „go“ wartet.
Hach! Wenn ich könnte, würde ich rückwärts bis dahin zählen. Und ja, ich wünsche uns das so sehr, dass Reisen bald wieder möglich ist! Ich schau auch gleich mal auf eurem Blog vorbei! Solange wir nicht reisen können, ergötzen wir uns halt an anderen Geschichten und reisen mit dem Finger auf GoogleEarth in ferne Länder.