Verloren in Bangalore und Montezumas Rache

Lost in Bangalore

von | Jan 6, 2020

Meine letzten Tage in Indien. Ich bin allein in Bangalore, denn meine Freunde mussten schon eher abreisen. Allein als Frau in Bangalore, wie ist das so? Lost in Bangalore?

Frühmorgens gegen 5:00 Uhr klopft es ganz leise an meiner Tür. Meine lieben Freunde wollen sich von mir verabschieden, denn ihr Flug nach Hause, nach Wien, geht heute schon.

Ich hüpfe sofort an die Tür. Wir drücken uns fest. Ich bin den beiden so dankbar für die gemeinsame Zeit, denn das waren ein paar unglaubliche und wunderbare Tage hier gemeinsam auf den Spuren von Steffen in Indien. Ab jetzt bin ich für die nächsten Tage allein in Bangalore, bis mein Rückflug nach Berlin geht.

Ich hatte meinen Rückflug absichtlich zwei Tage später gebucht, da dieser am heutigen Tag ganze 300 EUR teurer gewesen wäre, als der nun final gebuchte Rückflug.

lost in bangalore

Allein in Bangalore

Gerade haben wir noch zu dritt die wunderbarsten Abenteuer erlebt, Tonnen von Curry verdrückt und gelacht und nun stehe ich wieder allein da.

Als die Tür zu fiel, war ich wieder mit mir allein. Ich musste sogar eine kleine Träne verdrücken. Verdammt, ich hätte nicht gedacht, dass es mich so schmerzen würde, wieder allein zu sein. Ich habe mich lange nicht mehr so alleingelassen gefühlt, wie jetzt gerade in dem fernen Land und in der fremden Stadt. Das abgedunkelte Zimmer und der kalte Marmorfußboden machten das ganze für mich körperlich auch noch regelrecht spürbar.

Also kroch ich schnell wieder in mein kleines Einzelbett und beschloss, endlich einmal etwas nach den intensiven letzten Tagen auszuschlafen. Und wenn es mir scheiße geht, hilft es mir für gewöhnlich, der Realität in den Schlaf zu entfliehen.

Es ist faszinierend, wie schnell man sich wieder an Gemeinsamkeiten gewöhnt. Schnell legt man seine selbstständige Rolle ab, überlässt den anderen das Ruder und findet Kompromisse. Es ist so unglaublich einfach, wenn die liebe Freundin nassforsch vorangeht und man sich einfach einmal wieder fallen lassen kann.

Umso härter wird es dann, wenn man wieder allein ist und das Ausmaß des Alleinseins realisiert. Ich habe mich lange nicht mehr so allein gefühlt. Ich dachte eigentlich, dass ich mich gut mit der mir aufgezwungenen Situation arrangiert habe.

Frühstück im Hotel

Irgendwann gegen 9:00 Uhr gehe ich dann allein hinunter zum Hotelfrühstück.

Aber nun tritt hier ein Unterschied zu Deutschland zutage, der jetzt gerade besonders schmerzt. In Indien sitzt niemand allein, da alle entweder mit der Familie oder Kollegen verreisen. Vorteilhaft ist hier natürlich, dass ich mich zurzeit in Bangalore befinde – dem Silicon Valley von Indien und der bisher westlichsten Stadt unserer Reise durch Südindien.

Ich will damit sagen, meine Bedenken und Ängste sind nur eingebildet, weil ich eigentlich „nur“ meine Freunde so sehr vermisse.

Da ist jetzt kein Reiseführer mehr, der auf uns am Frühstückstisch wartet, nicht meine Freunde, die schon am Buffet stehen und sich Tonnen von frischem Obst und leckeren indischen Spezialitäten auf den Teller laden.

Da bin nur ich und ich fühle mich gerade etwas verloren.

Und das Buffet ist leider auch nicht so großartig, wie die Buffets der letzten Tage. Schade. Aus Verzweiflung ende ich bei zwei Schokocroissants und Obst.

Nach dem Frühstück verkrieche ich mich also schnell wieder in mein Zimmer. Mist. Ich muss hier noch einen Tag ausharren und bin gerade nicht glücklich.

Rikshaw-Fahrt

10:00 Uhr bin ich mit einem Rikshaw-Fahrer verabredet. Er hatte uns auf unserem gestrigen Heimweg im Dunkeln angesprochen und meine Freundin hat ihn direkt dazu verdonnert, mich heute gegen 10:00 Uhr am Hotel abzuholen. Da die Verhandlungen über den Preis so hart waren, sind wir eigentlich davon ausgegangen, dass er nicht kommen würde.

Und natürlich habe ich Manschetten (Angst) und bin etwas aufgeregt. Ich, so ganz allein in Bangalore. Leise hofft mein feiges kleines Ich, dass er nicht kommt.

Aber nein, pünktlich 10:00 Uhr steht Sanjid da und wartet auf mich. Wir hatten ausgemacht, drei Sehenswürdigkeiten für 100 Rupien anzuschauen. Geduldig fährt er mich durch die Stadt, erklärt alles, macht Fotos von mir.

Touristenfalle die 1.

Die obligatorischen Ausflüge in eine Seidenfabrik und einem Geschenkeladen sind leider auch in dieser Rikshaw-Tour inbegriffen. Verdammt.

Zuerst geht es in eine Seidensarifabrikation, unten im Keller werden hier Saris gewebt und oben ist dann der Verkauf. Behende springen mehrere Händler im Laden auf mich zu und es gibt kein Entkommen, ohne irgendein Tuch zu kaufen. Wieder Verdammt.

In einem weiteren Laden mit Teppichen, Tinnef, Pashminaschals und Schmuck macht man mich so mürbe, dass ich mir ein Armband aus Jade und Mondstein kaufe. Wenigstens ist die Verkäuferin nett und arg schockiert von Steffens Geschichte, dass sie mir – angeblich – einen Mörderrabatt einräumt.  Ja, das Armband ist wunderschön, klar. Aber verdammt, ich brauchte es nicht. Ich hasse sowas. Und ich kaufe es dennoch. Noch eine Lektion, die ich endlich einmal lernen muss.

Shopping

Etwas wütend blaffe ich Sanjid an: „no more tourist shops, ok?!“ und weise ihn an, mich in die MG Road zu fahren. Denn dort gibt es Buchläden. Das hat mir Google verraten und das ist das, was mich eigentlich interessiert. Wir machen uns eine Urzeit aus, an welcher er mich wieder abholt und ich laufe das erste Mal allein durch die Einkaufsstraßen.

Und siehe da, es geht so ganz allein. Es geht sogar sehr gut!

Die Ängste und das Theater befinden sich immer nur in meinem Kopf. Ja, ich weiß es längst, aber trotzdem. Aber langsam finde ich wieder zu mir zurück. Zu meinen Stärken und dem in Berlin zurückgelassenen Alleinmodus. Das fällt mir in dieser Stadt nicht schwer, denn sie ist genauso mufflig wie andere Großstätte überall auf der Welt. Und ich brauche nur mein muffliges Gesicht aufsetzen und meine Körpergröße erledigt den Rest.

Nach dem Kauf etlicher Bücher – mein Gott, sind die hier billig – gönne ich mir noch einen Safrantee und einen Brownie.

Bangalore ist recht teuer. Das kommt unerwartet. Die Preise auf den Hauptstraßen und für das Essen sind schon recht europäisch.

Sanjid wartet wie versprochen an dem verabredeten Ort – vor dem Hard Rock Café – auf mich und wir fahren zurück zum Hotel.

Ich denke mir so, ich war heute mutig genug für das erste Mal allein in Indien. Sanjib bestelle ich für morgen wieder, denn dann möchte ich noch den Palast sehen bevor es abends zum Flughafen geht, denn ich muss mir die Sehenswürdigkeiten etwas aufteilen, da die Stadt bisher nichts wirklich schönes zu bieten hat.

Zurück im Hotelzimmer, in meiner kleinen Höhle, voller Vorfreude auf einen faulen Nachmittag, merke ich es.

DAS GRUMMELN.

Alarm im Darm!

Montezumas Rache!

Natürlich. Irgendwann musste es ja passieren. Natürlich genau dann, wenn ich ganz allein bin. Ich hätte das geweihte Wasser im Tempel nicht probieren sollen. Was anderes kann es nicht gewesen sein, weil nur ich es habe.

Na super. Bett und Toilette werden ab jetzt meine beiden Hauptstationen des restlichen Tages. Horrorszenarien schwirren durch mein fantasievolles Hirn. Ich schwitzend, unter Ventilatoren in den Tropen. Hotelboys, die verzweifelt an Türen klopfen. Fieberträume. Typhus. Blut im Stuhl. Elendiges Verenden.

Wer benachrichtigt wen, wenn ich verende? Wie soll morgen der Flug ausgehen? Panik schiebt sich hoch.

Sicherheitshalber lasse ich das Abendbrot bleiben und esse dafür eine Tüte Chips auf dem Zimmer, als ich endlich etwas Appetit bekomme. Das ist keine gute Idee, sagt mein Darm. Verdammt, ich muss bis morgen wieder gesund werden!

Am nächsten Morgen immer noch dasselbe Theater. Panik. Wie soll das heute nur mit dem Flug werden?

Zum Frühstück entscheide ich mich für Müsli mit Sojamilch und einen schwarzen Tee und verkrieche mich bis 12:00 Uhr in meinem Zimmer mit Netflix. Ich muss meine Panik irgendwie bis zum Check Out betäuben. Der Flug geht nämlich erst 20:55 Uhr. Elende Stunden die ich irgendwo in Lobbys und Wartehallen verbringen muss.

Check Out

12:00 Uhr gehe ich pünktlich zum Empfang des Hotels um mich auszuchecken.

„no madam, you have still one night with us!“

Was? Noch eine Nacht? Ich habe mich komplett vertan! Verdammt.

Ok krass, aber dafür habe ich jetzt Zeit, um gesund zu werden.

Schade, dass das ganze gerade in dieser Stadt Indiens passiert, denn so toll ist Bangalore nicht. Das Hotelzimmer hat keinen Balkon, das Fenster geht nicht zu öffnen und wird nur durch die Klimaanlage belüftet und es gibt hier auch keine Dachterrasse. Obendrein ist das Essen im Hotel auch nicht so prall und auf der Straße hatten wir schon unterwegs auch nichts vielversprechendes zu Essen als Alternative gefunden.

Aber hey, das Zimmer und das Hotel ist sauber, die Servicekräfte sind sehr bemüht, es gibt Klopapier satt und unten gibt es genormtes Essen für meinen armen Bauch, der gerade gar keinen Hunger hat.

Sanjib wartet wieder wie vereinbart vor dem Hotel. Stimmt, der Palast von Bangalore! Aber der Darm sagt grummelnd nein zum Palast.

Touristenfalle die 2.

Dafür ist mir das edle Armband aus Jade und Mondstein schon gestern Abend gerissen. Das wird meine Challenge für heute.

Wir fahren zum Geschenkehändler.

Überall in jeder Stadt verteilt sind diese Läden, welche Teppiche, Götterfiguren, Schmuck und Gebämsel verkaufen. Die Reisebüros und Rikshaw-Fahrer bekommen dann wohl eine Provision pro Kunden, den sie in diese Geschäfte locken. Und die Verkäufer dort sind einfach gnadenlos. Man hat kaum eine Chance.

Meine Frage nach Erstattung wird natürlich gnadenlos weggebügelt und sofort wird das Armband ganz gemacht, diesmal mit doppeltem Faden aus Fischernetz. Ach shit. Lehrgeld.

Merke: gehe niemals in diese Geschenkeläden. Versuche hart zu bleiben. Das ist aber schier unmöglich als Gutmensch.

Dann will ich sofort wieder zurück in mein Hotel. Das ist mir jetzt mit meinem revoltierenden Darm doch noch zu riskant, mich zu lange draußen zu bewegen. Nur angewiesen auf die indischen Hocktoiletten.

Wir machen daher noch einen Zwischenstopp am Bananenstand, da es im Hotel keine Bananen gibt. Bananen sind gut bei Durchfall, habe ich gelesen. Dasselbe gilt für schwarzen Tee. Mehr Möglichkeiten habe ich hier gerade nicht.

Daher geht es geschwind wieder zurück ins Hotel, in meine Höhle. Das war es für mich für heute.

Und ich habe mir ja immer Zeit für mich gewünscht. Da ist sie. Die Freizeit, die Zeit für mich. Jetzt muss ich sie nur noch sinnvoll nutzen. Aber ach, ich nutze sie für Netflix und Sitzungen auf dem Klo.

Und wieder: glücklicherweise ist das Zimmer sauber, WLAN vorhanden und Klopapier unendlich.

Nachtrag: heute Morgen geht es mir schon wieder besser!

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