Unser Novemberwochenende mit unserem Hochzeitstag und Steffens Geburtstag ist da. Ohne ihn. Ich bin nach Bremen geflüchtet.

Das Novemberwochenende

von | Nov 10, 2019

Das Novemberwochenende ist für mich eines der schlimmsten Daten im Jahr. Steffens Geburtstag und unser Hochzeitstag nur einen Tag auseinander. Wie soll ich das aushalten, nur ein halbes Jahr nach Steffens Tod?

Nicht dass es schon reicht, das am 08.11. unser Hochzeitstag war, nein, heute ist auch noch Steffens Geburtstag. Wäre. Mir hat es so vor diesem Novemberwochenende gegraut.

Wenn meine ganzen Erfahrungen meines bisherigen Lebens geldwert wären, würde ich alles in WTF!-Fonds anlegen.

Rückblicke

Eigentlich erlaube ich mir keine Gedanken mehr mit „Was wäre, wenn“-Themen. Das ist viel zu schmerzhaft. Genauso schmerzen die ganzen Rückblicke und Erinnerungen bei Facebook in die vergangen Jahre zu dem jeweiligen Zeitpunkt.

Aber an diesem Hochzeits-Geburtstags-Wochenende kann ich dem einfach nicht entfliehen. Es ist unser Novemberwochenende. In unserem Lieblingsmonat zu unserer Lieblingsjahreszeit.

Bremen

Räumlich bin ich daher spontan zu meinen engsten Freunden nach Bremen geflohen. Dieses besondere Novemberwochenende hätte ich nicht allein in in meiner Wohnung in Berlin ausgehalten.

Mein Freund K. kennt Steffen, seitdem ich ihn kennengelernt habe, damals im Jahr 2001. K. habe ich das erste Mal von Steffen vorgeschwärmt, was für ein toller Mensch er ist. Und K. war seit meiner ersten Verknalltheit live dabei.

Die beiden nehmen mich hier in Bremen so auf, wie ich bin. Hier kann ich ganz ich selbst sein, habe einen Hund, der tagsüber auf mich aufpasst und am Abend tolle Gespräche mit den beiden. Und eine Feuerschale. Und Bier. Mehr geht nicht.

Das Novemberwochenende

In einem Paralleluniversum wären wir wahrscheinlich dieses Wochenende verreist. Wie an jedem Geburtstagswochenende von Steffen.

In diesem Jahr wären wir nach Rom geflogen. Steffen hat vor zwei Jahren eine Googlemaps-Karte mit „Da will ich hin“ Herzen für Rom erstellt.

Immer wenn ich nach Italien hineinzoome, sind in der ganzen Stadt Restaurants, Hotels und Sehenswürdigkeiten mit Herzchen markiert, die er gerne gesehen hätte.

Wir hätten hier in Rom seinen 41. Geburtstag gefeiert. Und unseren 5. Hochzeitstag.

41!

Das muss man sich mal ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen.

Das ist doch kein Alter, schreit es ständig in mir. Noch letztes Jahr haben wir Steffens 40. Geburtstag gefeiert und gesagt, scheiß Krebs, das kriegen wir wieder hin. Wir haben gesagt, nächstes Jahr holen wir dann deinen 40. Geburtstag nach, mit einer richtigen Party. So wie es sein muss.

„Und wenn wir den Krebs überstanden haben, hast du dann noch 40 weitere Jahre vor Dir“, haben mein Papa und ich gesagt.

Für den Arsch.

Alle Lebenskarten noch mal neu gemischt. Aber nur meine.

Grübeleien

Ich darf nicht nachdenken, was mal war, was ich hatte, was gewesen wäre, wenn. Wie es gemeinsam weitergegangen wäre mit uns. Das sind absolute Tabu-Gedanken.

Denn sie führen zu nichts, außer unendlichem Schmerz. Ich kann nicht mehr zurück, ich kann nicht mehr in die Parallelwelt.

Ich muss den weiteren Lebensweg allein laufen.

Abendessen beim Griechen

Wir werden heute Abend in Gedenken an Steffen „Zum Griechen“ essen gehen. Da waren wir gemeinsam das letzte Mal mit Steffen zu viert im Februar. Nur eine Woche, bevor Steffen am 22.02.2019 gestorben ist.

Wir hatten uns so auf dieses Wochenende gefreut. Seit einem Jahr waren wir nicht mehr in Bremen gewesen. Wir hatten zu unseren Freunden gesagt, wir kommen Euch besuchen, wenn der Krebs besiegt ist.

Steffen hat hier beim Griechen das erste Mal seit China wieder Fleisch gegessen und „vielleicht geht so diese elende Verstopfung weg.“ gesagt.

Und zur Feier des Tages, dass wir in Bremen sind und unsere Freunde treffen und dass wir den elenden Krebs besiegt haben, hat Steffen ein Hefeweizen und einen Ouzo getrunken.

Danach hat der arme Steffen das ganze Wochenende nur gelitten und hatte furchtbare Schmerzen. Kein Wunder, wenn die Leber zu 95% mit Metastasen durchsetzt ist.

Und wir schütten auch noch Alkohol drauf …

Das mit den Metastasen wussten wir damals zu dem Zeitpunkt alle noch nicht. Wir dachten, der Krebs ist besiegt und Steffen hat einfach nur eine furchtbare Verstopfung, wegen dem ganzen Grünzeug, welches er ständig von mir aus futtern musste.

Und ich war so froh, endlich hier bei den beiden Bremern zu sein, die sich um Steffen kümmerten. Ich konnte das erste Mal seit langem eine Stunde nur mit mir ganz allein verbringen. Ich konnte mich in die Wanne legen und entspannen, da ich wusste, dass da zwei Freunde waren, die sich während dieser Zeit um Steffen kümmerten.

Steffen musste am Montag nach diesem Wochenende sowieso zum monatlichen Blut-Check in die Charité, daher haben wir auch keinen Arzt wegen der Symptome aufgesucht. Die Ärzte in der Charité wussten ja über Steffen bestens Bescheid.

Warum hätte man einem Allgemeinarzt die ganze Story mit dem speziellen Krebs noch mal erklären sollen…

Auf Steffen werden wir heute einen oder zwei Ouzo trinken und ein Hefeweizen verhaften. Und vielleicht kommt er ja als Geist vorbei. Er ist herzlich zu seinem Geburtstag eingeladen.

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