Essen in der Rehaklinik

Essen in der Reha

von | Okt 10, 2020

Wie ist das Essen in der Reha und was sage ich als Geschmacks-Nazi dazu? Und schon wieder gleitet dieser Blog in eine Milieustudie ab. Sorry. Es wird wieder lang. 

Gutbürgerliche Küche

Ich erkenne ein Fertigprodukt schon von weitem, wenn es träge mit fiesen Maggi-Spitzen olfaktorisch durch die Gänge wabert. Es ist der immergleiche Grundgeruch. Wenn Du an einer Gaststätte vorbeigehst und der Geruch von Brühpulver hängt in der Luft, dann kannst du getrost umkehren. Warum sollte ich für ein Essen, welches komplett aus der Tüte kommt, 16 EUR bezahlen? Deswegen meide ich deutsche Restaurants oder auch die sogenannte gutbürgerliche Küche, da sie meist aus Komponenten wie TK-Gemüse (kann ich verzeihen), Sauce Hollandaise aus dem Tetrapack, Braune Soße/Weiße Soße fertig, Krinkelfritten und im schlimmsten Fall einem Fertigprodukt (Schnitzel, Cordon Bleu, Ragout Fin) besteht.

Und das Schlimmste, die Soljanka – „das soll Janka sein?“ – besteht nur aus 4 verschiedenen Doseninhalten die mit Wurstresten im exakten Verhältnis zueinander zusammengeworfen und erhitzt werden. Ach ja, vergiss das Knoblauchpulver nicht! Herzlichen Glückwunsch! Sie haben gerade all ihre Geschmacksknospen nivelliert.

Entsprechende Angst hatte ich vor dem Essen hier in der Reha. Wie immer habe ich vorab panisch die Google-Rezensionen durchgelesen und vermehrt festgestellt, dass alle durchweg schreiben, dass das Essen gut ist, besonders das Mittagessen.

Aber wer bewertet sowas? Die Leute, die solche Mahlzeiten wie die vorgenannten zu sich nehmen oder die anderen? Gnade Gott. Also wusste ich immer noch genauso viel über das Essen hier wie vor dem Lesen der Rezensionen. Denn genau davor hatte ich Angst: du bist die ganze Zeit hier gefangen und das Essen ist scheiße? Das Worst-Case-Szenario für Frau Picky Eater.

Also war das Essen in der Reha für mich vorab der schlimmste Faktor. Komische Mitmenschen? Einfach ignorieren, sind ja nur paar Wochen und kein neuer Arbeitsplatz. Dummer Spruch? Sorry, ich verbrenne jeden verbal, wenn ich das will. Nicht umsonst sagte Steffen immer: „Du bist meine Waffe.“

Denn Probleme entstehen immer nur durch Menschen.

Die erste Mahlzeit

Nach meiner Ankunft am Vormittag musste ich erst einmal zum Coronatest. Ich wusste schon vorher, dass ich nach der Ankunft für mindestens zwei Tage in Quarantäne muss, bis das Ergebnis des Tests bekannt veröffentlicht wurde.

Nach dem erfolgreichen Konsum von „Ratched“ auf Netflix und ähnlichen Formaten stellte ich mich auf ein Einzelzimmer mit Buchweizengrütze in der Metallschüssel per Durchreiche in meine Gummizelle ein.

Aber nein, weit gefehlt: als Quarantino musste man sich sein Essen in einem separaten Raum abholen und direkt wieder ohne Umweg in sein Zimmer schleichen, welches wohlgemerkt ein wunderbar gemütliches Einzelzimmer, genauso wie im Hotel ist. Ich kann echt nicht meckern.

Also packe ich aufgeregt mein Essen im Zimmer aus. Wie wird es wohl sein? Wie wird es schmecken?

Aus Hygienegründen kam alles in Einweg daher. Ja, in Styropor-Einweg. Wie gesagt: Corona. Kontakt sollte so viel wie möglich vermieden werden und sicher waren diese Packungen noch in irgendeinem Lager vorhanden.

Denn nur, weil die Styroporverpackungen in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werden, sind sie ja dennoch in irgendwelchen Lagern vorhanden. Und in der Gastro kauft man Großpackungen. Nicht hundert Stück, sondern tausend, weil halt billiger.

Nun gibt es zwei Optionen: diese Verpackungen nicht nutzen und wie gekauft einfach wegwerfen oder sie nutzen und dann wegwerfen. Ich finde Variante 2 schlauer.

Glaubt mir, wir haben immer in der Metro nach einer ökologischen Alternative des Verpackungsmaterials gesucht. Aber es dominieren Plastik, Aluminium und Styropor. Die Ökoboxen kosten gerne das dreifache. Also wundert euch nicht, wenn der ökologisch korrekte Take Away nun mal mindestens 10 EUR kostet. Ein großer Teil davon ist sind die Verpackungskosten.

Das Essen

Ich hebe aufgeregt den Deckel und entdecke darunter Spinat, Rührei und Kartoffeln. Die Kartoffeln sind handgeschnitzt, also nicht dieses geschwefelte Fertigprodukt von vorgekochten Kartoffeln, die alle gleichausschauend mit dieser gummiartigen Pelle wie in der Schulspeisung daher kommen. Das Rührei, nun ja, ist einfach im Konvektomaten gestocktes Rührei ohne Butter und der Spinat ist ohne Rahm aber dafür wirklich gut gewürzt.

Auch beim zweiten Mittagessen, einem Putensteak in brauner Soße mit schön körnigem Reis und noch knackigem Brokkoli fällt mir wieder auf, wie frisch und schonend alles gegart ist.

Und ich weiß, wie schwer das ist, für 200 Menschen in dieser Qualität zu kochen. Natürlich würde, hätte, täte … viele finden hier etwas zu meckern.

Aber alles ist frisch zubereitet und maximal 500 kcal schwer. Dinge die ich selbst zuhause nicht immer hinbekomme.

Bedenken wir auch: dies ist auch eine Diabetes-Klinik und ordentliche „Karater“ (wie meine Großmutter mit einem tief gurgelnden „R“ das Wort ausgesprochen hätte) walzen hier durch die Gegend und tönen nach dem dringend notwendigen Ernährungsberatungskurs laut auf dem Gang:

„Ernährungsumstellung schön und gut, aber ich werde eh alles vergessen, wenn ich mein nächstes Schnitzel esse… Ho ho ho“

random dicker Walrossmann

– nun ok, du hast es so gewollt, stirb halt fett (aber hoffentlich glücklich).

Als Beilage gibt es Apfelsaft im Mini-Tetrapack, wie ich ihn das letzte Mal im Ferienlager getrunken habe und Joghurt mit Kirschen (letzter Konsum ebenfalls in diesem Zeitraum). Schöner Apfel dazu, mega. Als hätte Mama das Ding vor 30 Jahren gepackt.

Abendbrot und Frühstück gibt es mit diversen Aufstrichen, von Beilagen, die ich seit Äonen nicht mehr zu mir genommen habe, ganz zu schweigen, und das Ganze auf schon für mich aufgeschnittenen Brötchen (Mega, wenn man bedenkt, dass ich nur höchst fragiles Plastikbesteck habe). Natürlich ist die Auswahl wild, woher sollen die auch wissen, was ich esse. Und jeder hat irgendwelche Befindlichkeiten. Aber mein neues Leben als Dana 2.0 sagt: probiere alles aus. Also esse ich auch fast alles auf.

Wenn man seit dem 16. Lebensjahr sich immer selbst um sein Essen kümmern musste, ist so ein maulrechtes Essen einfach nur göttlich. Geregelte Mahlzeiten ohne Nachdenken und somit genügend Zeit um im Kopf heil zu werden und mich nur um mich zu kümmern.

Und ja, Umwelt und so. Zum einen habe ich was den ökologischen Fußabdruck betrifft einen Mega-Kredit:

Meine Mama stirbt schon weit vor ihrer Zeit (20% Bonus), Steffen hat mir ein weiteres halbes Leben (50% Bonus) zum Verballern überwiesen und ich habe auch keine Kinder (mind. 500% Bonus), die sich umweltmülltechnisch reproduzieren könnten. Also habe ich mindestens 570% gut, die ich verballern könnte. Ich könnte also, wenn ich wöllte, den ganzen Tag im ersten Gang im T34 im Kreis fahren. Aber keine Sorge, das mache ich nicht. Ich nehme sogar Einkaufsbeutel mit zum Einkaufen hin mit.

Es handelte sich daher um lediglich die zwei Tage während der Quarantäne, an denen hier mit Plastik herumgeschleudert wurde, denn nach 1,5 Tagen konnte mir kein Corona nachgewiesen werden und ich musste mich nun, genauso wie alle anderen in der Schlange der Essensausgabe anstellen.

Die Warteschlange

Die Zeiten der Essensausgabe sind in der Klinik fest vorgegeben. Die Insassen der Reha wurden in zwei Gruppen unterteilt, die zu verschieden Zeiten (06:50 Uhr und 07:50 Uhr usw.) essen gehen müssen. So können die 1,50m-Abstände gewahrt werden. Es wird hier größter Wert auf die Einhaltung der Coronamaßnahmen gelegt.

Das spielt wiederum Misanthropen wie mir in die Karte: an einem Fünfer-Tisch sitzen nun nur noch zwei oder drei Personen und ich habe mit meinem Tisch auch noch echt großes Glück, weil ich eine unglaublich reizende und schlaue ältere Dame als Mitesserin habe.

Somit bildet sich vor jeder Essensausgabe eine lange Schlange, die sich U-förmig durch den Gang schlängelt. Krücken-Menschen werden selbstverständlich vorgelassen, was super ist. Die anderen stehen sich nun gegenüber und können sich beäugen. Gottseidank habe ich mein Handy mit, um mein antisoziales Schutzschild aufzubauen, bin jedoch dadurch fähig, alles beobachten zu können:

Soziologie der Warteschlange

Egal wann man kommt, pünktlich oder zu spät – unweigerlich muss man sich für das Essen in der Reha in die Schlange integrieren, da man nur einzeln in den Speisesaal eingelassen wird.

Und immer wieder passiert jetzt dasselbe. Jeden Tag! Ein neuer Am-Ende-der-Schlange-Steher nähert sich dem menschlichen Centipeden und trötet „Mahlzeit“ und daraufhin folgt unbedingt die saudämliche Frage „gibt´s hier was umsonst?“ und nötigt so andere, zu darauf zu antworten. Gleichgesinnte lachen betont laut auf. Die Rudeltiere erkennen sich.

Die nächste Challenge besteht nun darin, so weit wie möglich vorne in der Schlange zu stehen. Ich hasse so ein Theater und stelle mich abseits und inspizierte derweil den Speiseplan, und bin völlig davon fasziniert, dass jede Mahlzeit beim Essen in der Reha nur ca. 500 kcal beträgt. Hier werde ich wohl abnehmen.

Mittlerweile ist die Schlange bis hin zu mir angewachsen. Auf einmal fährt mich eine laute Dame in Leggins und mit viel Busen an: „stehst du in der Schlange oder liest du nur?“. Also fiel meine Antwort entsprechend aus: „Das ist doch Wurst, die Plätze sind für uns alle reserviert, also kommen wir auch alle dran“. Ich kann sehen, wie die zwei Zellen in ihrer toupierten Rübe anfangen zu arbeiten. Komplett überfordert schüttelt sie den Kopf und dreht sich um. Seitdem würdigt sie mich keines Blickes mehr. Fantastisch! Die quatscht mich nicht mehr blöde an.

Ein weiters menschliches Phänomen ist auch hier zu beobachten: die lautesten Menschen sind die Schlimmsten. Da sind die Walrossmänner, die grunzend ihren Altmännerwitz herausblöken. Davon hatte ich in den letzten sechs Monaten echt genug, da rollen sich mir nur noch die Fußnägel hoch. Und es gibt genug Menschen, die genau über diese schlechten Witze lachen, siehe Minihirnzelle. Also wer in sämtlichen Zusammenhängen fragt welche Frauen sich mit solchen Männern abgeben (diese Gedankenspiele gibt es ja in alle möglichen Bevölkerungsvariationen) findet hier seine Antworten. Gottseidank findet jeder Topf seinen Deckel, aber ich gehöre definitiv nicht in die Höffner-Geschirrabteilung. So wird das nix mit meiner Anpassung.

Und dann gibt es dann noch diese Zeitgenossen, die bis heute noch nicht herausgefunden haben, dass es die Lautlos-Funktion am Handy gibt. Sie schauen sich bei voller Lautstärke Videos von „lustigen“ Menschen, Komikern und besorgten Bürgern an, die normalerweise nur in diesen WhatsApp-Chats geteilt werden, wo sonst noch PowerPoint-Präsentationen und süße Hasen kursieren und die zurecht nur in der Versenkung existieren. Und diese Videos müssen natürlich jetzt und hier brüllend laut auf dem Gang angeguckt werden. Dabei lacht der Glotzer laut auf und schaut sich aufmerksamkeitsheischend in der Masse um, ob es Gleichgesinnte gibt, welche sich wiederum sofort durch lautes Grunzen bemerkbar machen. Soeben wurde wieder eine neue Freundschaft geschlossen.

Der Speisesaal

Der Speisesaal ist hell und freundlich, die Angestellten sind unglaublich nett und aufmerksam. In der Mitte befindet sich eine große Ausgabentheke und um an dieser bedient zu werden, stehen wir hier halt alle Schlange. Ich werde aus datenschutzrechtlichen Gründen jedoch keine Bilder aus dem Inneren der Reha posten.

Zum Frühstück kann man sich direkt an dieser Theke bedienen lassen. Die Auswahl besteht aus Vollkornbrot, Knäckebrot, Aufbackbrötchen und diversem Aufschnitt. Müsli und Joghurt ist auch vorhanden. Dosenmandarinen! Crazy! Es gibt Buttermilch als Getränk und auch gemahlene Leinsamen. Mit etwas Kreativität findet man hier Dinge und Kombinationen, die gut funktionieren.

Das Abendbrot ist ähnlich strukturiert, nur dass es dann noch anstelle des Frühstücksmüslis Wiener Würstchen, Kartoffelsalat oder Sahnehering gibt. Also alles echt ok.

Nur Gemüse fehlt mir beim Essen in der Reha – und das jetzt aus meinem Mund!

Und das Essen wird wiederum komplett auf normalen Tellern und in Glasschüsseln wegen der Umwelt angerichtet. Also ökotechnisch alles gut.

Und in der Tat, das Mittagessen wird immer frisch zubereitet. Da gibt es einen echten Koch! Knackiges Gemüse, gekochte Kartoffeln, echte Mehlschwitze. Richtige Brühe. Verrückt.

Ich bin begeistert. Die Küche ist bodenständig, da der Großteil der Patienten Ü60 ist und keine Veränderung erträgt. Aber dafür komme ich nun seit 20 Jahren mal wieder in den Genuss von:

  • Königsberger Klopse
  • Eier in Senfsoße
  • Sauerbraten mit Wurzelgemüse
  • Gemüsebratling mit Käsesoße
  • Reiseintopf mit Hühnchen

Ich weiß, irgendwann wird mich der Schmacht auf gutes chinesisches Essen und eine echte Pizza wieder übermannen, aber gerade genieße ich das hier sehr: die kulinarische Reise 30 Jahre zurück in die Vergangenheit.

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