Was macht Corona mit der Gastronomie? Inflation und Pleiten

Gastronomie in Zeiten von Corona

von | Apr 24, 2020

Jeden Morgen sende ich aus Dankbarkeit ein Stoßgebet nach oben und danke dafür, dass ich nicht mehr selbstständig im Catering tätig bin. Was gerade mit der Gastronomie in Zeiten von Corona geschieht ist ein Trauerspiel in Dimensionen.

 

Mir ist absolut klar, dass diese Zeiten für jedermann gerade absolutes Neuland sind und ein jeder damit struggled, wie es denn jetzt wohl weiter gehen wird. Am zufriedensten sollten wie immer die Beamten und Politiker sein. Auch für Politiker werden wieder die Diäten erhöht.

Leute, die im Homeoffice weiterarbeiten können ohne dabei nervige Kinder zu haben, – sorry, isso – haben außer ein paar Geldeinbußen auch keine größeren Probleme.

Aber die Gastronomie! und schon startet mein Phantomschmerz … Alter, bin ich froh, dass mich das nichts mehr angeht. Mit nicht mehr angeht, meine ich nicht, dass es mir egal ist, sondern dass es mich nicht mehr betrifft.

Viele von Euch haben ja nicht den geringsten Einblick in die Kulissen dahinter, daher möchte ich Euch gerne einmal mitnehmen, damit Ihr dieses Ausmaß einmal versteht.

Finanzamt, der Killer

Über die Jahre im Catering musste ich die bittere Pille schlucken und begreifen, dass fast 50 % von meinem Umsatz direkt an das Finanzamt weiter gingen. Da wären die Einkommenssteuer, die Umsatzsteuer und die Gewerbesteuer, die immer zu zahlen sind.

Hinzu kommen die Nachzahlungen aus den Vorjahren, die ungefähr im Jahr drei des Geschäftslebens angefangen werden, zu kalkulieren, basierend auf den Einkommen der ersten drei Jahre. Plötzlich ist da eine Nachzahlung in vierstelliger Zahl fällig (am Anfang). Und basierend auf dieser Zahl werden dann die weiteren Vorauszahlungen für das laufende Jahr und das nächste Jahr kalkuliert. Diese Zahlen werden in jedem Jahr basierend auf die Steuererklärung von vor zwei Jahren neu angepasst. Das bedeutet, dass im Jahr 2020 die Steuervorausszahlungen und Nachzahlungen basierend auf 2018 gezahlt werden müssen.

Jetzt stellt Euch vor, Ihr bekommt diesen Steuerbescheid. Diese Nachzahlung kommt immer im Februar/März des Jahres. Also in dieser Zeit des Jahres, wenn es in der Gastronomie richtig klamm ist. Keine Aufträge, keine Saison, keine Feiern.

Also schwörst Du Dir, noch ab Sommer noch mehr Umsatz zu machen, als im Jahr zuvor, um die kommende Nachzahlung im nächsten Jahr zahlen zu können. Die gerade anstehende Nachzahlung stotterst Du irgendwie ab. Fragt nicht. Aber in der Zeit habe ich die Flaschensammler für ihr Geld beneidet.

Mehr Umsatz macht natürlich mehr Nachforderungen. Aus vierstelligen Nachforderungen werden in den nächsten Folgejahren nun fünfstellige Nachforderungen. Aus dieser Schleife kommst Du nicht mehr raus, außer mit einem großen Knall wie einem Tod oder vielleicht Corona.

Du arbeitest nun wie ein Tier, von Montag bis Samstag, Aufträge für 100 Mann. Immer mehr. Und Du kannst das Finanzamt nie befriedigen. Niemals!

Rücklagen

Oberschlaue Menschen in ihren Lehnsesseln, die noch nie mit ihrer Hände Arbeit etwas erschafft haben, tröten nun aus dem bumswarmen Off „ja, warum habt Ihr in der Gastronomie denn keine Rücklagen, Geschäftsmenschen brauchen doch Rücklagen“ Quack off.

Es ist absolut unmöglich, eigene Rücklagen aufzubauen, wenn alles vom Finanzamt eingezogen wird. Wusstet Ihr, dass Deutschland das Land mit den höchsten Steuerabgaben in Europa ist?

Ich rechne es einfach einmal an einer simplen Portion Suppe, für 4 EUR brutto (inkl. 19% MwSt. für die Klugscheißer) aus:

Kartoffelsuppe kostet

Finanzamt bekommt

Küche, Miete, Versicherungen, Strom, Wareneinsatz, der ganze Scheiß

Also bekommt der Selbstständige

4,00 EUR

2,00 EUR

1,60 EUR

0,40 EUR

Mach davon mal Rücklagen! Denn auch der Selbstständige hat eine Wohnung und Versicherungen. Bedeutet, er muss pro Monat 10.000 Portionen Suppe verkaufen.

Alleine

Natürlich ist die Kalkulation etwas Pi mal Daumen, aber so gestaltet sich das in etwa nun mal.

Warum zieht man dann nicht die Preise hoch?

Wie oft musste ich mir im Catering diese Sätze anhören: „das ist ja teuer“, „für den Preis kann ich das ja selber billiger kochen“, „Hühnchen kostet doch nur im Warenwert 0,50 EUR, warum verlangst du 2,00 EUR für den Spieß?“.

Und umso mehr ich mich mit Leuten unterhielt, stellte ich fest, dass es so viele Menschen gibt, für die ein Essen lediglich ein Energie-Input ist. Die tägliche Nahrungsaufnahme dient ihnen nur dazu, dass der Körper weiter funktioniert. Sätze wie „kann man essen“ oder „macht satt“ gehören zum guten Ton.

Natürlich sind wir Menschen verschieden, und diese Menschen haben sicher andere Qualitäten. Aber für solche Menschen ist es natürlich unvorstellbar, wenn sie für eine Suppe in der Gastronomie 10,00 EUR bezahlen müssten. Es ist doch nur eine Suppe!

Dass für diese eine Suppe zum Beispiel einen Tag lang eine unglaubliche Brühe vorgekocht wurde, und nein, das macht sich nicht von alleine nebenbei. Auch das benötigt Energie und ein Mindestmaß an Grips.

Zutaten mussten gereinigt, geschält und zubereitet werden. Noch teurer wird es, wenn das Gemüse vom Biobauern kommt. Sahne, Fleisch und ähnliches kostet natürlich auch Geld.

Und derjenige mit dem Kochlöffel, die Person mit dem ultimativen Geschmack, welcher die Suppe am Ende abgeschmeckt hat, wie Du es nie könntest, will schließlich auch von irgendetwas leben. Er ist am Ende die Person in der Gastronomie mit der Magie, die komplett unterschätzt wird.

Essen ist gekochte Liebe

Habt Ihr noch nie dieses satte Grinsen nach einem guten Mahl gehabt? Dieses sofortige Gefühl von wohliger Wärme in der Herzgegend. Der Geschmack, der einen nicht loslässt.

Wenn Du das erste Mal eine selbstgemachte Sauce Hollandaise kostest oder eine richtige Rinderbrühe Dir auf der Zunge zergehen lässt. Da ist so viel Komplexität und Liebe drin, die man sofort schmeckt.

Und das ist der Grund, warum ich meine Arbeit im Catering so geliebt habe:

Wir haben Glück verkauft. 

Instantglück.

Ich hätte es gerne weiter gemacht, aber dieser Druck, diese Regularien, diese Widrigkeiten habe ich einfach nicht mehr ausgehalten. 

Jetzt koche ich nur noch für meine Liebsten. Und natürlich immer für mich.

Außer man ist ein absoluter Geschmackslegastheniker, dann kann man auch weiter Sauerbraten roh essen und Wurstwasser trinken.

Ich habe mich damals beim Catering stets bemüht, meine Liebe mit einfließen lassen. Ich habe immer zu Steffen gesagt, lass uns jetzt nicht streiten, die Menschen schmecken das.

Diese Gefühle wirst Du nie erfahren, wenn Du regelmäßig ins Erascorant gehst und Maggi deine geheime Zutat ist. Wenn die Soße für einen Braten aus einem Tütenpulver hergestellt wird. So ein kulinarisches Leben ist eine ständige Aufeinanderfolge von Coitus interrupti. Eine ständig wiederkehrende Enttäuschung. Man merkt es nur nicht, weil man es ja nicht anders kennt.

Ich hasse es so sehr, in durchschnittliche „gutbürgerliche“ Restaurants gehen zu müssen, wo ich schon das Tiefkühlgemüse, die Kroketten und die Sauce Hollandaise aus dem Tetrapack von Thomy erkenne. Die Spätzle sind von Burgi, der Käse ist fertig gerieben aus der Tüte von Horeca. Die Brühe schmeckt nach Pulver. Das Schweinefleisch schmeckt nach Antibiotika und ist totgebraten, der Lachs ist trocken und vegetarische Küche können sie selten. Ich sag nur: Avocado mit Kartoffelcreme überbacken.

Ich könnte schreien!

Auf diese Art ausgegebenes Geld tut mir richtig weh. Sowas kann mir richtig den Tag versauen.

Und wenn Dich dann alle angucken und fragen, und hat es Dir geschmeckt? Ich kann da ja nicht die Wahrheit sagen. Und das ist der Grund, weshalb ich ausländische Restaurants bevorzuge. Das gibt es nichts von Knorr und Maggi. Da wird noch richtig ehrlich gekocht.

Aber wo leben wir jetzt?

Leider in Zeiten, wo motivierte Köche mit sehr guten Restaurants und unglaublichen Ideen durch die Steuerabgaben und Auflagen und Anforderung und den schlechten Geschmack der Mitmenschen zum Aufgeben gezwungen werden.

In einer Welt, wo Systemgastronomie das Nonplusultra ist, weil man den letzten Geschmacksanalphabeten hinter die Salattheke stellen kann, um charakterlose Weichbaguettes zu bestücken.

In Welten, wo richtig gute aber sensible Köche von hysterischen Alkoholikerchefköchen gebrochen werden.

Hoffnung

Und dann gibt es da doch noch ein paar verspinnerte Optimisten, Quereinsteiger, Idealisten, die sich in eine Idee verbissen haben und an sich glauben.

Mojewa Food Truck

Zum Beispiel diese beiden Herzen hier haben meine Cateringküche in Berlin-Weißensee übernommen und den veganen Surrito – halb Sushi, halb Burrito – erschaffen.

Und starten jeden Tag mit Monsterenergie neu!

Tiefer Respekt! Folgen, essen, teilen!

Solche, die zum Beispiel hier in Berlin das Fähnchen hochhalten und absolut fantastisches Essen aus aller Welt kredenzen oder auch deutsche Klassiker völlig neu und bezaubernd interpretieren und dafür sorgen, dass man sich in Berlin nicht nur kulinarisch so wunderbar international bewegen kann.

Und genau diese Kochnerds haben es gerade besonders schwer. Gleichzeitig haben sie den kreativen Background und durch ihre Andersartigkeit die notwendige Anpassungsfähigkeit, um in dieser Situation zu überleben.

Haltet durch, bietet Take-Away oder Gutscheine an. Euer Bonus ist, die meisten können nicht kochen.

Wer es in der Gastronomie bis jetzt geschafft hat, die Bürokratie der Finanzämter, IHK und den Regelwahn von DGSVO, Zutatenregistern und Veterinärämtern zu überleben, wird auch aus Corona aufsteigen, wie Phönix aus der Asche.

Nur in der Veränderung besteht die Chance zu etwas Neuem und Einzigartigen.

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