Happy End – Omi 3. Teil
Hier kommt nun der dritte und letzte Teil meiner Retrospektive auf das Leben meiner großartigen Omi. Ein lebender Beweis, dass man erst glücklich wird, wenn man seinem Herzen und seinem Bauchgefühl folgt.
Nach den letzten beiden Einträgen, dem 1. Teil, in welchem ich über Omis Kindheit schrieb und dem tragischen 2. Teil über die unglückliche Liebe zu meinem russischen Opa, folgt nun der dritte und letzte Teil.
Lebenslust
Natürlich war es schwer, damals in den 1950er Jahren in der noch jungen DDR. Der Krieg war vorbei, der Vater verschollen und der Geliebte und Vater der kleinen Nina für immer verschwunden. Schon damals ahnte man, dass wer nach Russland abtransportiert wird, selten lebendig wiederkommt. Und das Ganze dann auch noch allein erziehend bei meiner recht strengen Großmutter lebend.
Und dabei war Marianne, meine Omi, gerade erst Anfang 20, da hat man andere Dinge im Kopf. Was habt ihr denn so mit 20 Jahren gemacht? Genau.
Meine Omi hatte bis dato in ihrem kurzen Leben viel Leid und Entbehrungen erfahren. Unaufhaltsam drängte sich daher in ihr der tiefe Wunsch zu leben, das schöne Leben zu leben, empor.
Ich kann das so nachvollziehen, zumal ich gerade genau dieselbe Phase durchlebe. Man will mit diesem ganzen Leid nichts mehr zu tun haben, man will endlich auch mal etwas Schönes erleben und das Leben mit all seinen Facetten aufsaugen und genießen.
Mir geht es gerade ganz genau so, wie meiner Omi damals. Ich weigere mich, mich in den allgegenwärtigen negativen Gedanken aus Zukunftsangst und COVID19 zu wälzen und mich mit diesem scheinbaren Elend (denn wer ähnliches wie ich durchgemacht hat, weiß, dass das hier kein Elend ist) zu beschäftigen und erfreue mich an wirklich allem. Steffen ist im Geiste ständig dabei und hätte auch gewollt, dass ich glücklich bin.
Die fulminante Scheiße, die das Leben so auf einen Menschen innerhalb kürzester Zeit abwerfen kann, kennen/kannten wir bereits zur Genüge. Also her mit dem schönen Leben!
Das man mit so einem Verhalten oder Lebensstil, der nicht in die Normen passt, aneckt, ist klar. Manche waren und sind empört. Nachbarn und Bekannte rümpfen vielleicht die Nase. Wenn ihr auch solche Erfahrungen gemacht habt, hilft vielleicht dieser Gedanke weiter, um deren Verhalten zu verstehen:
Oft füllt das Empören über andere eine innere Leere, das damit vom eigenem Leben oder den eigenen Problemen ablenkt.
Omi und ich können und konnten beide nicht zurück in das, was mal war und haben/hatten doch noch so viel Leben vor uns. An diesem Punkt hat man ganz grob ausgedrückt diese zwei Möglichkeiten (wobei es natürlich dazwischen auch Grauabstufungen gibt):
Möglichkeit 1
man versaut sich dieses weitere zukünftige Leben, indem man ständig Trübsal bläst und sich einbildet, dass die Trauer der einzig mögliche Kokon ist, der einen noch wärmen kann. Man richtet sich häuslich in dem verlorenen Gestern ein und überbrückt auf diese Weise die Zeit, bis das nächste Elend passiert und man sich endlich selbst bestätigen kann, dass einem ständig nur Schlechtes passiert.
Möglichkeit 2
Realisieren, dass es keinen Weg mehr zurück gibt und das Ganze auch schmerzhaft akzeptieren. Sich mit dem neuen Leben arrangieren und neu lernen, zu genießen, allein aus dem Bewusstsein heraus, dass es nichts mehr zu verlieren gibt, denn man hat ja bereits alles verloren.
Schwofen
Was fängt man denn so in den 50er Jahren als alleinerziehende Mutter mit seinen jungen Jahren an? Meine Omi liebte es, zu singen und zu tanzen und wurde schnell fündig, wie sie ihr Talent einbringen konnte.
In ihrem Heimatort fand ihr Talent ein Zuhause und sie wurde Mitglied des Tanzorchesters Astoria, mit welchem sie ab und an durch Ostdeutschland tourte. Diese Information habe ich nur von meinem Papa bekommen, der dies wiederum von Großmutter erfahren hat. Als ich meinen Opi darauf direkt angesprochen habe, wusste er überhaupt nichts davon. Ach Omi, du verrücktes Huhn.
Was auch immer Omi genau dort gemacht hat, ob sie in einem Hintergrundchor geträllert oder sich wie June Carter um die Orchesterjungs gekümmert hat, wir werden es nie erfahren. Alle verlässlichen Quellen sind nun tot.
Opi
Und dann geschah es. Im Frühjahr 1959 ging mit mittlerweile 28 Jahren Marianne mit ihren Freundinnen zum Fasching, sie war verkleidet als Geisha und wunderschön.
Die Tür zum Festsaal ging auf und ein schmucker Matrose stand in der Tür.
Da auch meine Omi eine große Klappe hatte, sprach sie ihn einfach an. „Da hast Du dir aber eine schöne Verkleidung ausgesucht“. Opi wiegelte ungestüm ab, es war doch kein Kostüm, es war seine Ausgehuniform! Denn zu diesem Zeitpunkt war er Matrose bei der Volksmarine und gerade auf Landgang.
So traf Geisha auf Matrose und Marianne und Opi verliebten sie sich ineinander.
Die 28jährige und der 19jährige. Noch so ein Tabubruch. Russenkind, alleinerziehend, schwofen, und auch noch ein viel jüngerer Mann. Es schreit Skandal aus allen Ecken.
Das rückt ein vollkommen neues Licht auf meine Omi.
Sie war selbstbewusst, stark, unkonventionell und im Grunde genommen einfach unangepasst. Was für eine großartige Frau!
Omi
Und irgendwann wurde durch die Geburt von uns Enkelkindern in den 70ern die Omi zur Omi. Eine DDR-Omi wie jede andere: mit Dederon-Kittelschürze und leckerem Essen.
Sie sprach kaum über sich, denn wir Kinder waren ja nun der Mittelpunkt.
Nur bei den bereits in den vorangegangen Blogeinträgen beschriebenen rauschenden Festen bekam man eine Ahnung, welche Grande Dame Omi einst war.
Beerdigung
Omi wurde letzten Freitag beerdigt. Wir haben Opi bei diesem letzten Abschied begleitet. Die Beerdigung in einem Friedwald war schön, würdevoll und friedlich.
Ihre schlichte Urne steht auf einem kleinen Birkenstamm, fast so, als wäre es ein letzter Gruß von Sascha aus Russland. Am Ende sind alle wieder vereint.
Klares Sonnenlicht, rauschendes Blätterdach und der Blick weit über die Oberlausitzer Berge. Ein wunderbarer Ort.
Jeder von uns durfte Omi ein Stück bis zu ihrem letzten Ort tragen. Das war eine wundervolle Geste vom Friedwald Markersdorf.
Und am Schluss ließ Opi seine Omi zur Erde.
Es ist sicherlich nicht das Gleiche und auch nur ein Auszug, aber ich kann und darf sagen, dass es ein unbeschreibliches Gefühl ist, die Urne seiner Anvertrauten selbst tragen zu dürfen. Ich durfte sie nach der Verabschiedung in die gemeinsame Wohnung tragen und Sie am Tage der Beisetzung selbst ins selbstgebaute Urnengrab stellen.
Es mag für Viele nicht üblich oder sogar unvorstellbar sein, dass dies nicht ein Bestatter macht.
Es war schwer für mich. Schwer, aber auch sehr sehr schön, meine mir Anvertraute sogar noch dahin zu begleiten.
Ich finde es schön, wie dies in diesem Friedwald umgesetzt wird!
Oh Peter, ja ich verstehe dich sehr gut! Es macht das Ganze auch begreiflich. Im Sinne des Wortes
Genau das scheint es zu sein….