Tod und Sterben in Indien
Wie die Inder mit dem Tod und dem Sterben umgehen, fand ich schon immer sehr spannend. Gerade durch Steffens Tod und unsere tiefe Verbundenheit mit Indien wurde dieses Interesse sogar noch verstärkt. Besonders als ich mich mit dem Ablauf bei Steffens Kremation auseinander gesetzt habe, habe ich mit noch intensiver mit dem Tod und Sterben in Indien beschäftigt.
Warum also nicht im vergangenen Indienurlaub alle offenen Fragen vom Reiseleiter beantworten lassen? Wenn Euch die Thematik interessiert, lest einfach weiter.
Tod in Indien
In Indien gehört der Tod ebenso wie die Geburt ganz einfach zum Leben dazu. Aufgrund des in Indien am stärksten vertretenen hinduistischen Glaubens an die Wiedergeburt, gibt diese den Menschen eine gewisse Leichtigkeit, mit dem Tod umzugehen.
Denn die Inder glauben, dass die Seele unsterblich ist.
Tod in Europa
In unserer nüchternen Herangehensweise an den Tod in unserer entzauberten Industriewelt, ist das Sterben für uns etwas Endgültiges.
Die verbreitete Vorstellung, dass nach unserem Tod alles schwarz und zu Ende ist, jagt uns so eine furchtbare Angst in die Knochen, dass wir zwanghaft versuchen, jung, schön, gesund und nahezu unsterblich zu bleiben. Wir ignorieren die eigentliche Endlichkeit und haben dann eine unglaubliche Scheißangst, wenn das Ende nah ist.
Jede Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod wird bei uns in Europa verwehrt und ist in der Gesellschaft eher verpönt.
Das Leben als eine Aufgabe
Im Gegensatz dazu herrscht bei den Indern größtenteils der Glaube vor, dass das ganze Leben für einen so und nur so bestimmt worden ist. Jedes einzelne Schicksal ist in der Palmblattbibliothek hinterlegt und wenn man die Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens abkürzen möchte, ist es ratsam, diesen Sinn und sein vorbestimmtes Schicksal in einer Palmblattbibliothek zu erfahren.
Unser Körper ist nur das Gefäß unserer unsterblichen Seele, welche nach dem Tod in einem neuen Körper wiedergeboren wird. Und diese unsterbliche Seele hat eine bestimmte Aufgabe, die sie bei jeder Wiederkehr auf die Welt zu erfüllen hat.
Tod und Geburt
Tod und Geburt in Indien werden daher eher als freudige Ereignisse gesehen, da beide Vorgänge eine Schwelle überschreiten. Bei der Geburt wird die Schwelle zum Leben überschritten und beim Tod die Schwelle aus dem Leben. Da in dieser Auffassung sich nur der Verweilort der Seele verändert, ist ein Tod genauso wie die Geburt ein Grund für Freude. Genauso, wie man mit Freude und Glück auf diese Erde geboren wurde, so soll man auch die Erde wieder verlassen. Mit Freude und Musik.
Wenn ein Inder stirbt
Wenn ein Inder stirbt, werden sofort alle Verwandten und Freunde benachrichtigt. Der Leichnam wird in der Wohnung aufgebahrt und alle verabschieden sich von dem Toten.
Die Verwandten, welche im Haus des Verstorbenen wohnen, dürfen während der Zeit kein Essen in dem Haus des Verstorbenen zubereiten und bestimmte Süßigkeiten auch nicht essen. Sie werden in diesem Zeitraum von ihren Verwandten versorgt.
Ihnen wird so eine Trauerzeit von 13 Tagen eingeräumt, in denen sie ebenso als unrein gelten.
Ein Priester reinigt das Haus mit Weihrauch.
Trauerzug
Einen Tag nach dem Tod wird von den Angehörigen des Verstorbenen ein Trauerzug organisiert.
Der Verstorbene wird in feine weiße Tücher eingewickelt – weiß ist in Indien die Farbe der Trauer – und auf einen einfachen Holzwagen mit Holzbaldachin gebettet, umgeben von duftenden Blumengirlanden.
Vor dem Wagen läuft eine typisch indische Musikkapelle mit singenden und lachenden Männern, alle in weiß gewandet, welche Blumen auf der Straße verstreuen.
Der Weg führt nun den Trauerzug vom Haus des Toten an seiner Route vorbei an wichtigen Orten und Stationen des Lebens des Verstorbenen vorbei, hin zum Kremationsort.
Die Frauen müssen im Haus zurückbleiben, den Trauerzug begleiten nur Männer.
Wir haben aber auch Autos in Kleinbusgröße gesehen, welche aufwändig mit Blech und Silber und Blumengirlanden verziert waren, auf welchem die Trauerkapelle direkt neben dem Leichnam auf dem Auto saßen und ordentlich Krawall machten.
Bitte entschuldigt das kurze Video, aber als ich realisierte, dass es ein Leichenzug, also Trauerzug ist, habe ich sofort das Video abgebrochen.
Verbrennung
Der Leichnam wird nun also im Trauerzug zu dem örtlichen Verbrennungsplatz gefahren. Jeder Ort in Indien hat so einen Verbrennungsort, in größeren Städten ist er meist zentralisiert hinter hohen Wänden. Aber in Tamil Nadu befand sich ein Verbrennungsort stets außerhalb der Dörfer.
Hindus werden stets verbrannt. Es gibt nur eine Ausnahme bei Säuglingen, kleinen Kindern und Heiligen, diese werden ganz normal begraben. Daher sieht man in Indien auch seltener Friedhöfe. Diese sind eher für die Christen und Muslime, die in Indien leben.
Ein Verbrennungsort ist eine simple rechteckige Überdachung, gestützt von vier Säulen. In dem Betonboden befindet sich eine rechteckige Grube, in welcher Holz aufgeschüttet wird. Meistens wird normales Holz, gemischt mit Mangoholz bei der Verbrennung verwendet. Wenn der Verstorbene wohlhabender war, wird auch Sandelholz verwendet.
Durch die Verbrennung wird die Seele endgültig vom Körper gelöst.
Die Asche
Nachdem der Verstorbene verbrannt und die Asche abgekühlt ist, wird ein Teil der Asche in ein Gefäß gefüllt, welches die Verwandten dann übergeben bekommen.
Die restliche Asche bleibt am Verbrennungsort.
Der heilige Fluss
Nach Möglichkeit begeben sich die Hinterbliebenen zeitnah zu dem nächstmöglichen heiligen Fluss.
In Indien gelten alle Gewässer als heilig, aber wie euch sicher bekannt ist, ist der Ganges im Norden Indiens der heiligste Fluss.
In Karnataka und Tamil Nadu ist der südlich gelegene Kaveri das Pendant zum nördlichen Ganges.
Heilige Zeremonie
Nun suchen die Verwandten nach der Verbrennung mit der Asche des Toten den Tempel am Fluss auf. Der örtliche Brahmanenpriester beginnt die Zeremonie.
Die Familie versammelt sich vor dem Priester auf dem Boden. Der Priester hat vor sich eine Metallschüssel, ähnlich geformt wie eine Goldwäscherschüssel, in welche die Asche des Verstorbenen gegeben wird.
In einer aufwändigen Zeremonie werden den Verwandten gemeinsam die Hände gewaschen, heiliges Flusswasser getrunken und in die Schüssel gegeben.
Man gibt Reis und bunte Farbpulver in die Schüssel.
Die Ehefrau bekommt einen Knoten in Form einer 8 um den Ringfinger gebunden.
Der Priester spricht Worte in Sanskrit vor, die von den engsten Verwandten in Sanskrit nachgesprochen werden müssen.
Räucherstäbchen aus Sandelholz werden entzündet und mit einer Blumenkette in die Schüssel gegeben.
Nun muss zum Beispiel die Ehefrau mit der Schüssel zum Wasser die Ghats, die Treppenstufen, herabsteigen.
Sie steigt mit der Schüssel in der Hand komplett ins Wasser des heiligen Flusses und gibt sanft die Asche in das Wasser.
Die Seele des Verstorbenen ist nun komplett frei und kann wiedergeboren werden. Es ist die größte Tat, welche man für einen Verstorbenen tun kann, die Asche in den Fluss zu geben.
Danach löst die Ehefrau den Bambusknoten vom Finger, gibt ihn ebenfalls ins Wasser und wäscht sich im Flusswasser rein und ist damit nun auch wieder frei.
Die Ehe ist somit aufgehoben.
Witwenverbrennung
Die gute Nachricht vorab, die Witwenverbrennung ist in Indien seit 1830 verboten. Die letzte Witwe aus einem Königshaus wurde jedoch offiziell 1953 in Rajasthan verbrannt.
Als ich noch ein Kind war, habe ich einen Film gesehen, in welchem die junge Witwe gegen ihren Willen mit ihrem verstorbenen Mann verbrannt wurde. Das hat mich fürchterlich beschäftigt und gemeinsam mit meinem Interesse für das seltsam Morbide nie wirklich losgelassen.
Die Witwen wurden nach dem Tod des Mannes gefragt, ob sie mit verbrannt werden wollen und hatten dafür einen Tag – bis zur Verbrennung – Bedenkzeit. Eine Frau, welche sich mit verbrennen ließ, galt als eine Sati, eine „gute Frau“, und wurde deswegen nie Witwe genannt.
Bei der Verbrennung mussten sie sich neben ihren verstorbenen Mann hocken.
Wenn Sie in der Panik des beginnenden Feuers und Todesangst versuchte zu flüchten, wurden sie entweder mit Bambusstöcken heruntergedrückt und zurückgestoßen oder es wurden schwerere Holzklötze auf sie geworfen, so dass sie nicht flüchten konnte und sterben musste.
Nun, diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei.
Auch wir lieben Indien und wir durften eine solche Zeremonie in Varanasi miterleben. Faszinierend