Nach all dem Beerdigungsstress und sechs Monate nach Steffens Tod brauche ich Ruhe und Zeit für mich. Ich möchte endlich einmal alleinsein.

Alleinsein

von | Aug 8, 2019

Sechs Monate ist es nun fast her, dass Steffen gestorben ist. So unendlich viel ist inzwischen passiert, so viel passiert jede Woche, alles rotiert, alle zupfen an mir, so dass ich gerade nur einen Wunsch habe: Einfach einmal allein sein. Endlich meine Ruhe zu haben, um das alles halbwegs zu verarbeiten.

Sechs Monate ist es nun fast her, dass Steffen gestorben ist. So unendlich viel ist inzwischen passiert, so viel passiert jede Woche, alles rotiert, alle zupfen an mir, so dass ich gerade nur einen Wunsch habe: Einfach einmal allein sein.

Aber ich komme einfach nicht dazu!

Der tägliche Wahnsinn

Jeder Tag läuft in etwa so ab:

Aufstehen

Ich habe das Glück, gut zu schlafen und sehr zeitig von alleine aufzuwachen, jahrelanges 5:00 Uhr Aufstehen ist eine sehr gute Schule. Bisschen im Handy surfen, die Schilddrüsenpille knallen und eine halbe Stunde bis zum Kaffee machen warten wegen Schilddrüsenpille.

Arbeiten

Mit dem Kaffee in der Hand zum Rechner wackeln – im Idealfall setze ich mich natürlich auf den Balkon und genieße den Blick über die Stadt und genieße diese Minuten des Alleinseins, realistisch ist aber eher:

Ich starte den Rechner und schaue, was in den letzten 14 h schon wieder aufgelaufen ist. Dem folgt irgendwelcher Schreibkram, irgendwelche Kündigungen schreiben, aufgelaufenen Schriftverkehr erledigen, also Bürokratie vom allerfeinsten und andere „Pain in the ass“-Dinge und das Steuerbüro will irgendwelche Dinge aus einer anderen Zeit gefunden bekommen. Die ich nicht finde. Aus irgendwelchen Gründen.

Termine

Oh! schon irgendeine zeitnahe Uhrzeit, ich muss sofort los zum – wählen Sie aus diesen Möglichkeiten aus –

  • Pilates
  • Psychologe
  • Frauenarzt
  • Allgemeinarzt
  • Schilddrüsenarzt
  • Werkstatt
  • Metro
  • Baumarkt mit Anneliese

Schnell ins Badezimmer, Gesicht restaurieren, Haare optimieren, Aufs Fahrrad oder ins Auto und los.

Mein Arzt hat Urlaub, ich muss aber meine Krankschreibung verlängern sonst geschieht ein Desaster, also fahre ich zum Vertretungsarzt um festzustellen, das dieser völlig andere Öffnungszeiten hat, die nicht mit meinem Leben korrelieren.

Kurz durchdrehen – akzeptieren – mein Leben der Gegebenheit anpassen

Mittag

Oh! Schon Mittag. Da ich eh nichts im Kühlschrank hab, kann ich auch Mittagessen gehen. So kann ich mich am besten an meine Zukunft mit mir gemeinsam allein gewöhnen. An das göttliche Alleinsein.Aber vielleicht treffe ich mich auch mit irgendeiner Freundin. Das ist auch schön.

Bürokratie – die Zweite

Um meine am morgen begonnenen Dinge zu beenden, benötige ich von irgendwoher irgendein Schreiben. Dies gilt jetzt zu organisieren. Wunderbare Geduldsproben, wenn Menschen auf Maschinen treffen. Aber irgendwie funktioniert es nach geraumer Zeit doch.

Endlich kann ich nach Hause, um den soeben erkämpften Schriebs in einen Umschlag zu tun und irgendwohin zu verschicken. Damit diesem Schriebs dann irgendwelche Antworten folgen, die noch mehr Tätigkeiten von mir nach sich ziehen.

Telefonate

Das erste Mal an diesem Tag kann ich etwas durchatmen und das Alleinsein genießen. Doch dann, plötzlich: das Telefon klingelt: Freunde, Bekannte, Verwandte, die nicht in Berlin wohnen, rufen an, um sich nach meinem Leben zu erkundigen. Das oder die Telefonate dauern dann auch schon wieder 1-2 Stunden.

Je nach Anrufer geht es dann auch ordentlich an die Substanz und ich muss mich nach dem Anruf wieder an mein Leben im hier und jetzt gewöhnen und aus dem hinterlassenen seelischen Loch ziehen. Warum? Weil gerade das Bullshit-Trauer-Bingo stattfand:

  • ach Dana, normalerweise würdet Ihr zwei jetzt …
  • ihr wolltet doch noch so viel zusammen …
  • Das Catering hat Euch doch so viel bedeutet …
  • wie soll das Leben jetzt nur weiter gehen … ?
  • Was, die haben immer noch nichts mit dem Wasserschaden gemacht?
  • Hast Du schon den … Antrag ausgefüllt?
  • Werde nicht zu selbstständig, dann findest Du keinen Mann!

Abendessen

Oh Hunger. Ein Gefühl bricht sich durch mein Zwerchfell der Beklemmungen. Wahlweise mache ich mir jetzt irgendwas Leckeres und kann mich endlich glücklich und ganz allein mit einem Trog warmen Essens auf die Couch mit Herrn Netflix zurückziehen oder

Ich muss wieder raus, denn ich habe irgendeine Verabredung mit irgendjemanden. Das ist schön, weil irgendjemand sich Gedanken um mich macht. Aber: „Listen!“ (in indisch-englisch ausgesprochen)

Bald platzt mir der Kopf!

Bett

Wenn ich Glück habe, bin ich zeitig genug zuhause und kann noch einen Film oder einen Teil einer Serie gucken. Aber wahrscheinlich wird das dann vielleicht eher doch morgen. …

Repeat

Dasselbe dann am nächsten Tag – unterbrochen von irgendwelchen Kurzreisen zu Freunden und Verwandten.

Epilog

Natürlich bin ich unendlich dankbar, dass meine Freunde nicht so reagiert haben, wie ich es in einem letzten Blogeintrag von mir beschrieb.

Diese vergangenen sechs Monate kommen mir vor wie zwei Monate, da ich nicht einen Moment zum Innehalten bisher hatte. Meine lieben Freunde wollen mich sehen und mit mir treffen und mittlerweile ist mein Kalender auf zwei Wochen im Voraus ausgebucht.

Steffen und ich liebten das Alleinsein

Steffen und ich hatten eine ganz besondere Beziehung: wir konnten uns auf das wunderbarste allein beschäftigen und wir haben uns beiden den Raum gelassen, wir selbst zu sein. Selbstständig zu sein. Nicht vom Partner in irgendeiner Form abhängig. Der absolute Traum, der so nicht noch einmal eintreten wird. Lieber gewöhne ich mich also schnell an mein Alleinsein.

Steffen konnte sich tagelang in seiner Musik verlieren und ich mich in anderem kreativen Wahnsinn. Hätten wir nicht arbeiten gemusst, wir wären die glücklichsten Menschen der Welt gewesen. Mit dem Catering hatten wir endlich auch beide etwas gefunden, wo wir beide kreativ sein konnten und unsere Miete bezahlen. Uns ging es also bestens.

Dies war auch der Grund, warum wir nie zusammen gezogen sind, da wir beide unsere Freiräume brauchten. In den letzten Wochen von Steffens Leben war er natürlich häufiger bei mir zuhause, da ich ihm so besser helfen konnte, aber wir vermieden dennoch die Kontakte zur Außenwelt. Steffen wollte nicht, dass ihn unsere Freunde in dem Zustand sehen, er konnte es einfach nicht ertragen, wie deren Blicke brachen. So waren wir zwei zuhause auch stets allein.

Mit Steffens Tod kamen nun plötzlich die Einladungen aller Freunde. Alle wollten mich auffangen. Alle hatten Angst, dass ich mir etwas antun würde.

Ich brauche endlich einmal etwas Ruhe

Jetzt ist bei mir jedoch der Moment erreicht, wo es mir einfach zu viel wird. Alle zerren an mir und wollen mich sehen, sie wollen, dass es mir gut geht.

Sie versetzen sich in meine Situation und das ist die schlimmstmögliche Variante für sie: allein ohne den geliebten Partner zu sein. Und deswegen wollen sie mich auffangen. Dafür liebe ich meine Freunde. So viel Empathie! So viel Liebe.

Aber eigentlich geht es mir eher wie Jule Hoffmann in diesem Artikel der Zeit.

Am Dienstag war ich wieder bei meiner Therapeutin und schnaufte patzig:

„Am liebsten würde ich alle meine Freunde an einem Tag treffen und ein Update über meinen Zustand machen und dann ist gut. „

Sie rügte mich leicht:

„versuche es doch mal, dir wenigstens einen Tag freizuschaufeln.“

Ja, Recht hat sie wohl. Das werde ich jetzt versuchen.

Ihr Lieben, ich danke Euch, dass Ihr da seid, dass Ihr so seid, wie Ihr seid. Ich liebe Euch!

 

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