Letzten Montag war ich ein letztes Mal in der Charité, denn ich hatte den lang ersehnten Termin mit Steffens behandelndem Arzt. Denn eine Frage lag mir auf der Seele: Wie ist Steffen gestorben und was passiert genau beim Sterben?

Meine drängendste Frage dabei war:

Hatte Steffen Schmerzen, bevor er gestorben ist?

gefolgt von:

Hätten wir etwas ändern können, wenn wir eher ins Krankenhaus gegangen wären? Hätte man den Leberkrebs schneller entdeckt?

Die zweite Frage konnte er schnell beantworten, denn es gab bei Steffens Art des Leberkrebses in Verbindung mit dem vorhergehenden Nierenversagen keine Hoffnung.

Steffens Krebs wuchs explosionsartig und ist so in kürzester Zeit auf eine Monstrosität von 95% Metastasen innerhalb von zwei Wochen gewachsen. Die einzigen Anzeichen am Anfang des Krebswachstums waren Schmerzen im Oberbauch.

Hinzu kam erschwerend, dass man direkt nach einer Chemotherapie keine Organe transplantieren kann, da man das gesamte Immunsystem herunterfahren müsste. Dies sorgt dafür, dass dann überall im Körper die unterdrückten Metastasen und Krebszellen aufblühen. Steffen hätte danach im PET-Scan wie ein Weihnachtsbaum gefunkelt. Von innen.

Und in dem abstrakten Fall, dass er es doch geschafft hätte, hatte die Niere mittlerweile so einen Schaden, dass die Dialyse unsere Zukunft gewesen wäre.

Sie hätten also einfach ein paar Tage eher herausgefunden, dass Steffen Leberkrebs und nur noch wenige Tage zu leben gehabt hätte und bald sterben würde.

Und wir wären eben nicht das Wochenende davor noch einmal zu Freunden nach Bremen gefahren, die er so wenigstens noch ein letztes Mal wiedersehen konnte.

Der einzige Vorteil wäre gewesen, dass wir uns alle hätten richtig verabschieden können und Steffen hätte nicht alleine sterben müssen.

Aber man kann nicht alles haben.

Nun zurück zu der ersten Frage:

Hatte Steffen Schmerzen, bevor er gestorben ist?

Der Arzt meinte, dass bei diesem multiplen Organversagen der Körper komplett abschaltet. Dass man keine Schmerzen spürt, da man sich wie in einem Schockmoment befindet, da die Schmerzen so immens sind, dass der Körper in eine Schutzfunktion geht.

Man kennt das selbst von Unfällen, wenn man wie in Trance handelt. Oder falls Ihr schon mal ein Bein gebrochen oder irgendetwas extrem Schmerzhaftes erlebt habt. Der Körper geht auf Autopilot.

Endorphine -also diese Glückshormone – (Morphine) werden ausgeschüttet, damit man die Schmerzen nicht spürt.

Nach und nach schaltet sich das Hirn ab. Der präfrontale Cortex – also der Stirnlappen – der Teil, der für unsere Emotionen zuständig ist, ist im Sterbeprozess zusammen mit der Hirnhaut noch am längsten aktiv.

Präfrontaler Cortex – das ist das, was beim Lobotomisieren mit einem eispickelartigem Gerät in den 50er und 60er Jahren durch die Augenhöhlen angepikst wurde, so dass der Patient ein willfähriges Mitglieder der – bevorzugt amerikanischen Gesellschaft – wurde. Mehr könnt Ihr darüber hier lesen.

Der umsichtige Arzt hatte die Pfleger gebeten, Steffen nicht mehr an den Tropf zu hängen oder auf die Intensivstation zu bringen und ihn in Ruhe sterben zu lasssen. Dies hätte nur die Endorphinausschüttung „verdünnt“ und Steffen unsägliche Schmerzen beschert. Der Arzt arbeitete vorher auf der Palliativabteilung und kannte sich daher mit den jeweiligen Signalen aus und hatte genau im Gefühl, wann jemand sterben würde.

Steffen hatte also eine wunderbare Kombination aus Emotionen und Endorphinen, er hatte den Trip seines Lebens. Meine Vorstellung, dass eines seiner letzten Bilder der Flug mit der Zip-Line über die Teeplantage in Kerala ist, ist daher überhaupt nicht abwegig. Das beruhigt mich sehr.

Ich verlasse ein letztes Mal die Charité. Mit Steffen in meinem Herzen. Und atme ein letztes Mal diesen feinen Geruch der Onkologie, diesen Geruch nach welkem Salbei ein.

Zur Zeit lese ich ein Buch, welches vielleicht etwas esoterisch daher kommt, aber ich mag die Idee, was nach dem Sterben passiert – wer jedoch nichts davon hören will, kann gerne jetzt aufhören zu lesen.

Es heißt: Es gibt keinen Tod – Unsterblich. Ich habe es in zwei Tagen durchgelesen und habe mich in vielen Gedanken und Momenten wieder gefunden.

Manches wirkt sicher befremdlich und wenn man realistisch ist und Dinge hinterfragt, besonders.

Aber gleichzeitig fühlen sich viele Dinge sehr richtig an. Und sehr beruhigend. Wir sind nicht allein. Niemals. Wer richtig geliebt hat, hat überall Freunde und Helfer.

Er beschreibt zum Beispiel, dass im Moment des Todes, die Seele und der Geist den Körper verlassen und sich wie eine Welle im ganzen Universum ausbreiten.

Dies erklärt mir, warum ich exakt zu Steffens Zeitpunkt des Todes dieses ganz spezielle Flüstern auf dem Weg zum Parkplatz gespürt habe. Irgendwie warm und speziell. Zu dieser Uhrzeit am 22.02. ahnte ich noch mit keiner Faser, dass Steffen gerade gestorben ist.

Eine Kommunikation ist möglich, nicht durch sprechen aber man fühlt, was man tun muss. Man muss sich komplett auf seine Instinkte verlassen.

Steffen hat mir schon bei so vielen Behördensachen geholfen, in dem er im richtigen Moment das richtige Papier zeigte, den Wartesaal leerte und für freundliche Beamte sorgte. Ich muss ja nun wirklich alles alleine machen und das kann einen wirklich verrückt machen.

Der Wecker klingelte spontan los, als eine liebe Freundin, die wir beide seit Jahren nicht gesehen haben, in meiner Wohnung war.

Das Hochzeitsbild hing schief, als Steffen an einem stürmischen Tag realisierte, dass er nicht mehr auf dieser Welt ist.

Ich denke, er ist jetzt bei all seinen Lieben auf der anderen Seite. Bekommt ständig Schokotorte von Oma, raucht Zigarren mit dem Opa und die ganzen Katzenbiester sind auch da. Nachmittags macht er Musik mit David Bowie und Keith Palmer.

Und jetzt stellt Euch vor, wir sitzen hier und denken so:

Ach man, warum hast Du mich allein gelassen? Warum hast Du mir das angetan?

Wie fühlt sich das an? Scheiße. Genau. Steffen hat ein schlechtes Gewissen und kann aber nicht zurück. Und zerfleischt sich. Und kann nicht in Ruhe Schokotorte bei Oma essen.

Das wollen wir also nicht und hören auf, ihm die Ohren vollzujammern. Wir sehen uns ja noch. Nur halt ein bisschen später.

Und ich habe jetzt gelernt, wie ich mit ihm kommunizieren kann. Es ist natürlich anders als vorher, denn er ist ja nicht mehr körperlich da. Es läuft etwas anders ab.

Aber er wird schon wieder lustig, denn zu seinem Nasopharynxkarzinom sagte er jetzt:

„Das Nasoschlafinx“

Wer Steffen kennt, weiß, das ist ein typischer Steffen.

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